Prakt. Met. Sonderband 41 (2009) 23
sich das Thomas-Verfahren in Europa sehr schnell durchsetzen und lange Zeit halten können, spielt
jedoch aus technologischen und wirtschaftlichen Gründen seit etwa 30 Jahren keine Rolle mehr.
Ohne äußere Wärmezufuhr wurde durch Windfrischen aus Roheisen mit hohem Phosphor- und
niedrigem Siliziumgehalt zum größten Teil ein weicher, also kohlenstoffarmer "Thomas-Stahl" als
Massen- und Baustahl erzeugt. Er unterscheidet sich analytisch von dem entsprechenden Siemens-
Martin-Stahl neben im Allgemeinen etwas niedrigerem Kohlenstoffgehalt vor allem durch den hö-
heren Phosphor- und Stickstoffgehalt. [4] Da im Einzelfall jedoch vielfach Überschneidungen vor-
liegen können, lässt die Zusammensetzung allein keine Entscheidung zu, ob Thomas- oder Sie-
mens-Martin-Stahl vorliegt. Im Zuge der Weiterentwicklung des Thomas-Verfahrens wurden über
die Jahre vielfältige technologische Maßnahmen verbessert oder eingeführt (z.B. Desoxidation, Be-
ruhigung, Stickstoffabbindung), um die chemische Zusammensetzung und Güte zu verbessern. Im
Ergebnis wurde es möglich, eine breite Palette spezifischer, auch qualitativ höherwertiger Thomas-
Stähle zu erzeugen. [5]
Phosphor und Stickstoff beeinflussen die mechanisch-technologischen Eigenschaften des Thomas-
Stahls ungünstig. Im Vergleich zu Thomas-Stahl sind z. B. Alterungsneigung und -betrag bei nach
üblicher Herstellungsart basisch erschmolzenen Siemens-Martin-Stählen weit geringer. Nichtsdes-
totrotz war Thomas-Stahl für eine Vielzahl von Anwendungsgebieten ein geeigneter und in großem
Umfang eingesetzter Werkstoff. Zum Beispiel sind allein in Deutschland bis 1943 etwa 300 Millio-
nen Tonnen Thomas-Stahl erblasen worden [5]. Deutsche Regelwerke verweisen zum Beispiel zur
Erstellung von Gittermasten für Freileitungen bis Ende der 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts be-
züglich der zulässigen Werkstoffe u. a. auf Flussstahl St 37/12 Normalgüte, St 37.12 bzw. St 37, die
in den entsprechenden Werkstoffnormen genormt sind und nach dem Thomas-Verfahren erschmol-
zen werden durften. [1]
2.1 Begriffe und Mechanismen bei der Alterung von Stahl
Unter Alterung allgemein versteht man jede zeitabhängige Änderung einer Stahleigenschaft. Die
Änderung kann sich durch die Beeinträchtigung der Gebrauchseigenschaften der Stähle ungünstig,
z.B. als Abnahme der Zähigkeit (Versprödung) oder der Verarbeitbarkeit, aber auch günstig, z.B.
als Zunahme der Härte und Festigkeit, auswirken.
Man unterscheidet Alterung nach einem Abschrecken (Abschreckalterung), wobei sich neben der
Blockierung von Versetzungen durch interstitielle Atome auch Karbide und Nitride in größerem
Umfang ausscheiden, und Alterung nach (oder auch bei) einer Verformung (Reck-, Verformungs-
oder mechanische Alterung), bei der wegen der großen Zahl von Versetzungen im Wesentlichen die
Wanderung der interstitiellen Atome zu den Versetzungen und deren Blockierung stattfindet. Der
Stickstoff wird beschleunigt an Versetzungen in plastisch umgeformten Bereichen ausgeschieden.
An den Diffusionsvorgängen bei der Alterung sind Kohlenstoff und Stickstoff beteiligt, wobei
Stickstoff wegen der größeren Löslichkeit und schnelleren Diffusion eine führende Rolle spielt. [6,
7]
Grundlage der für die Abschreckalterung von Stählen kennzeichnenden zeit- und temperaturab-
ten sind alle hängigen Ausscheidungsprozesse ist ein ubersittigter o-Eisenmischkristall. Die Elemente Kohlen-
stoff und Stickstoff beeinflussen sich gegenseitig in der Ausscheidung, wobei die Prozesse zusätz-
lich von anderen Elementen wie Mangan oder Silizium beeinflusst werden. [6,8]
Bei rascher, nicht dem Gleichgewicht entsprechender Abkühlung von Stählen (vorrangig weiche,
unlegierte bzw. Baustähle) von Temperaturen < Acı auf Raumtemperatur geraten C- und N-Atome
in Zwangslösung. Diese ergibt sich daraus, dass beim Aufheizen und Halten des Stahls auf Glüh-
temperatur zunächst eine zunehmende Menge dieser Elemente im Gitter gelöst wird (bei Kohlen-