Vom Zustandsschaubild zum ZTU-Schaubild
Ausbildung und Bewertung der Gefüge von Stählen
Hans P. Hougardy, Max-Planck-Institut für Eisenforschung GmbH, Düsseldorf
Ausbildung der Gefüge, Unlegierte Stähle
Eine der Grundlagen für das Verständnis der Gefügeausbildung von Stählen ist das Zustandsschaubild
Eisen-Eisencarbid, Bild 1 (1,2). In der kubisch-flächenzentrierten Atomanordnung des y-Eisens, dem
Austenit, sind bis zu rd. 2 % Kohlenstoff löslich. Das bei Raumtemperatur beständige @-Eisen, der
Ferrit, hat ein kubisch-raumzentriertes Gitter, das praktisch keine Löslichkeit für Kohlenstoff hat.
Während einer Abkühlung eines Austenits muß sich daher der Kohlenstoff in Form von Fe;C, Zementit,
ausscheiden. Soweit ein Stahl Legierungselemente wie Mn und Cr enthält, werden diese in das Carbid
mit eingebaut, es entsteht z. B. ein Carbid (Fe, Cr);C, abgekürzt M;C. Die Bildung von Zementit-
Teilchen erfordert eine Diffusion, die nur mit endlicher Geschwindigkeit ablaufen kann. Aus diesem
Grunde sind Art und Größe der Zementit-Teilchen durch Wahl der Temperatur-Zeit-Führung in weiten
Grenzen zu beeinflussen, was durch ein ZTU-Schaubild für kontinuierliche Abkühlung, Bild 2, wie-
dergegeben wird. Dieses Schaubild enthält Angaben, unter welchen Abkühlbedingungen die für Stähle
kennzeichnenden Gefüge entstehen (2, 3). Dies sind Ferrit und Perlit, Bild 3, Bainit, Bild 4 sowie
Martensit, in Bild 5 Lanzettmartensit. Ferrit, Bild 3, besteht aus Eisen, das mit den Legierungselemen-
ten des Stahles einen Mischkristall bildet. Perlit ist ein Gemenge aus Ferrit und Zementit, die lamellar
nebeneinander liegen, Bild 6. Bainit ist ebenfalls ein Gemenge aus Ferrit und Carbid. Der Ferrit des
Bainits hat jedoch gegenüber dem Ferrit im Perlit eine erhöhte Versetzungsdichte, die Carbide bilden
keine Platten, sondern kleine mehr oder weniger längliche Stäbchen, die bei grobem, weitgehend
körnigem Bainit lichtoptisch erkennbar sind, Bild 7. Martensit ist ein Mischkristall des Eisens, in dem
alle Legierungselemente, d. h. auch der Kohlenstoff, zwangsweise im Gitter gelöst sind. Aufgrund der
Art der Bildung hat der Martensit eine sehr hohe Versetzungsdichte bzw. besteht aus zahlreichen
Zwillingen (5). Diese Struktur führt dazu, daß der Martensit die höchste Härte aller Gefüge eines
Stahles hat. Die Unterschiede in den Gefügen bestehen in der Anordnung von Ferrit und Carbid und
deren Legierungsgehalten. Hierauf wird weiter unten noch eingegangen. Alle diese Gefüge entsprechen
nicht dem Gleichgewicht und gehen nach unendlich langer Zeit, bei Temperaturen oberhalb von rd. 700
°C auch in endlichen Zeiten in die Zustände über, welche nach den entsprechenden Zustandsschau-
bildern zu erwarten sind. Bei unlegierten Stählen sind dies wenige große Carbide mit Ferrit. Die
Konzentrationen der Phasen entsprechen den Angaben in den Zustandsschaubildern. Bei legierten
Stählen können auch Gemenge aus Ferrit und Austenit sowie nur Austenit, zum Teil mit großen
Carbiden entstehen.
Aus dem ZTU-Schaubild, Bild 2, geht schon hervor, daß die unterschiedlichen Gefüge unterschiedliche
Bildungsmechanismen haben müssen, da z. B. bei Abkühldauern zwischen 1 s und 10 s bei Temperatu-
ren unter 500 °C Bainit entsteht, aber kein Perlit mehr gebildet wird. Diese Bildungsmechanismen sind
an anderer Stelle ausführlich beschrieben (5). Für Metallographen erhebt sich die Frage, wie sie die in
den Bildern 3 bis 7 dargestellten kennzeichnenden Gefüge in der Praxis unterscheiden können, da die
Unterschiede nicht immer so ausgeprägt sind, wie hier wiedergegeben. Bei der Vielzahl der Stähle und
der Vielzahl der möglichen Wärmebehandlungen ist verständlich, daß es stetige Übergänge im Er-
scheinungsbild zwischen Perlit und Bainit sowie Bainit und Martensit gibt. Insbesondere der Bainit kann
je nach Stahlzusammensetzung und Wärmebehandlung sehr unterschiedliche Ausbildungen aufweisen.
Alle Unterscheidungsmerkmale für eine Trennung der Gefüge zu kennzeichnen würde daher bedeuten,
rd. 2.000 Stähle mit je 10 unterschiedlichen Wärmebehandlungen, d. h. rd. 20.000 Zustände zu
beschreiben. Für kennzeichnende Stähle gibt es in den Büchern "de Ferri Metallographia" (6) und
"Ausscheidungsatlas" (7) zumindest wertvolle Hinweise für eine derartige Beschreibung, die in der