90 Prakt. Met. Sonderband 30 (1999)
3. Material und experimentelles Vorgehen
Der untersuchte modifizierte 9%Cr-Stahl mit Kobalt und Bor (in Gew.%: 0.13C, 9.4Cr, 1.5Mo,
0.96Co, 0.21V, 0.065Nb, 0.020N und ~100ppm B) wurde von Boehler-Edelstahl nach modernen
schmelzmetallurgischen Verfahren (Elektro-Schlacke-Umschmelz- Verfahren) hergestellt und zu
(250x250x 3700) mm Barren geschmiedet. Anschließend wurde eine differenzierte Wärmebehand-
Jung durchgeführt, die sich aus folgenden Schritten zusammensetzte: Austenitisieren bei
1100°C/4.5 h, erste Anlaßstufe bei 570°C/8 h und zweite Anlaßstufe bei 710°C/8 h. Die
nachfolgenden mechanischen Untersuchungen brachten folgende Ergebnisse: Streckgrenze von 724
MPa, Zugfestigkeit von 850 MPa und Hérte von 282 HV30. Im angelieferten Ausgangszustand
bestand das Gefiige aus angelassenem Lattenmartensit und Ausscheidungen. oo I
Das Material zur Herstellung der Kriechproben sowie für die Untersuchungen des Gefüges im Aus-,
gangszustand wurde aus dem Kern im Zentrum des Barren entnommen. Die Kriechpriifungen er-
folgten nach DIN 50 118 bei 600 und 650°C. Versuche mit einer voraussichtlichen Dauer von ca.
2000 h (bei hohen Priifspannungen) wurden in Anlagen mit einer Online-Aufzeichnung der Verlan-
gerung der Proben durchgeführt. Versuche mit längerer Dauer wurden nach etwa 1000 h unterbro-
chen und die Verlangerungen der Proben mit einem MeBmikroskop (Genauigkeit +2 pum) gemes-
sen. Fiir die Untersuchungen des Einflusses von der mechanischen Beanspruchung bzw. der Ausla-
gerung auf das Gefiige des Stahls wurden Proben mit definierten Dehnwerten bzw. Priifzeiten in
Abstimmung mit dem aus diversen Diagrammen ersichtlichen Stadien der Kriechverformung
(primires, sekundéres und tertidres Kriechen) herangezogen. Die Gefligeuntersuchungen erfolgten
mit Hilfe eines Licht- sowie Elektronenmikroskops (Philips CM 20 STEM mit 200 kV Beschleuni-
gungsspannung). Die quantitative Analyse von Ausscheidungen sowie Subkérnern und Martensit-
latten erfolgte mit Hilfe der Bildauswertesoftware AnalySiS. Die Identifikation der Ausscheidungen
wurde anhand der Folien und Replikas mit Hilfe der Elektronenbeugung durchgeführt und, wo es
möglich war, mit EDX-Analyse ergänzt. Die Bestimmung der Versetzungsdichte erfolgte nach der,
Methode von Ham [5] die der Teilchendichte nach einer im Rahmen des COST-Projektes 501/2.
Runde einheitlich verwendeten Gleichung: Nv =Na/t+de mit: Nv als Anzahl der Teilchen im Ein-
heitsvolumen, Na als Anzahl der Teilchen in der Einheitsfläche, t als Dicke der Folie und de als
dem durchschnittlichen Durchmesser der Teilchen. Die Dicke der Folie wurde nach der Extinkti-
onslinien-Methode [6] bestimmt.
4. Kriechverhalten
Die Kriechversuche an der neuen Stahlvariante wurden unter konstanter Last bei 600 bzw. 650°C
mit den Anfangsspannungen von 100, 130, 160, 180, 200 und 230 MPa bzw. 60, 80, 100, 120 und
140 MPa durchgeführt. Die aufgezeichneten Wertepaare Dehnung-Zeit wurden zu Kriechraten dif-
ferenziert und in diversen Kriechdiagrammen als Funktion der Zeit, Dehnung oder Spannung dar-
gestellt. Im Bild 1A sind die Kriechraten als Funktion der Dehnung bei 650°C aufgetragen. Bei
Anfangsspannungen groBer als 100 MPa korrespondierte der Großteil der Lebensdauer der belaste-
ten Proben mit dem Bereich des Übergangskriechens, bei Spannungen < 100 MPa mit dem Bereich
der minimalen Kriechrate. Ahnliches Verhalten wurde auch bei einem niedriglegierten Cr-Stahl
beobachtet und als Folge des Wechsels von dominierenden Kriechmechanismen gedeutet [7]. Die
Werte der minimalen Kriechraten gemessen bei 650°C lagen bei allen Priifspannungen (60, 80, 100,
120 und 140 MPa) um bis zu zwei Grofenordnungen (bei den kleineren Spannungen) unter jenen
des konventionellen 12%Cr-Stahls Bild 1B. Eine Larson-Miller-Extrapolation (CLM=24)
durchgefiihrt auf Basis von den gewonnenen Daten (Kriechversuche bei 600/650°C mit der
maximalen Dauer von iiber 21000 h) ergab bei dem neuen 9%Cr-Stahl mit Kobalt und Bor eine