4 Prakt. Met. Sonderband 30 (1999)
Neuere Entwicklungen lassen es allerdings möglich erscheinen, daß die viel engere Definition von
Hornbogen und Petzow auch im englischen Sprachraum eingeführt wird [4].
Als wortführendes Organ der Metallographie darf die Zeitschrift „Praktische Metallographie"
gelten. Meines Wissens ist es die einzige periodisch erscheinende Veröffentlichung, die das Wort
„Metallographie” (noch?) im Titel trägt. Diese Zeitschrift hat die Ergebnisse metallographischer
Untersuchungen und Fortschritte in der Präparation und Gerätetechnik nicht nur verbreitet, sondern
zum Teil auch bewirkt. Es fällt schwer, irgend etwas Bedeutendes über Metallographie und Gefüge
zu sagen, was nicht schon in dieser Zeitschrift und in den als begleitende Sonderbände
herausgegebenen Berichten von den Metallographietagungen abgedruckt worden ist. Wenn also
alles so klar ist, welchen Anlaß mag es noch geben, über Metallographie vertieft nachzudenken?
Den Anlaß könnte das Bewußtsein liefern, daß die Entwicklung eines Gegenstands nicht als beendet
anzusehen ist, solange es ihn noch gibt. Diese Entwicklung war auf dem Gebiet metallographischer
Untersuchungsverfahren mit der Entdeckung einer großen Zahl von neuen Mikroskoptypen
besonders dramatisch. Die Frage, welche Bedeutung der praktischen Metallographie als
metallkundlichem Untersuchungsverfahren zukommt und welche anderen als praktische Aspekte
die Metallographie hat, könnten für die Zukunft der Metallographie wichtig sein. Mit einigen
Betrachtungen zu diesen Fragen sollen im folgenden persönliche Erfahrungen, die sich mit dem
metallographischen Wissen über das Gefüge metallischer Werkstoffe verbinden lassen, eingeordnet
werden.
Historische Anmerkungen
Die Geschichte der Metallographie ist in zahlreichen Veröffentlichungen gut dokumentiert (siehe
z.B. [5 - 91). Für mich als gelernten Hüttenmann war es naheliegend, Georg Agricola zu
konsultieren, wenn es um den Wissensstand über Metalle an der Schwelle zur Neuzeit geht. Wenn
auch einige Aussagen über das äußere Aussehen der Erze und Metalle, z.B. den Glanz, gemacht
werden, geben die 1556 gedruckten „Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen", wie die offizielle
Ubersetzung von ,,.De Re Metallica Libri XII" lautet, keine Hinweise auf metallographische
Untersuchungen. Das zusammengesetzte Mikroskop wurde ja auch erst am Ende des 16.
Jahrhunderts erfunden, und in der Tat dauerte es - wie wir wohl alle wissen - noch ein weiteres
Drittel unseres Jahrtausends, bis solche Untersuchungen durchgeführt und bekannt gemacht wurden
[5 - 8]. Ergiebiger ist ein Aufsatz über die Geschichte des Gießens [10]: Die Wiedergabe einer
Zeichnung eines Dendriten aus dem frühen 18. Jahrhundert enthält ein überraschendes Detail. Die
angeschnittene Grundfläche wird als Netz dargestellt, das exakt der Aufteilung entspricht, die beim
Modellieren des Dendritenwachstums mit Finiten Elementen zweckmäßig wäre: Im Inneren, wo
kleine Konzentrationsgradienten vorliegen, ist das Netz grob, in der Grenzfläche zur Schmelze, wo
die entscheidenden Vorgänge stattfinden und die Konzentrationsgradienten steil sind, ist eine feine
Aufteilung vorgenommen. Hier ist metallkundliches Wissen um mehr als zwei Jahrhunderte - und
wenn auch nur durch Zufall - vorweggenommen.
Zur Mitte unseren Jahrhunderts waren wesentliche Entwicklungen der Metallographie mit
beispiellos zu nennenden Erfolgen und die Umbenennung von Metallographie in Metallkunde
abgeschlossen. 1938 (in meinem Geburtsjahr) haben R. Mitsche und M. Niessner das 1939 in
Leipzig gedruckte Buch „Angewandte Metallographie" [11] verfaßt. (Nach diesem habe ich mich