Analyse von Simulationsexperimenten zu nuklearen Kernschmelzunfällen
- Beitrag der Metallografie —
Jürgen Böhmert, Gudrun Müller, Hans-Georg Willschütz
Institut für Sicherheitsforschung, Forschungszentrum Rossendorf e. V., Dresden
1. Einleitung
Das Aufschmelzen eines Reaktorkernes, das beim Ausfall der Kernkühlung unvermeidlich eintritt,
ist eines der gefährlichsten Szenarien, die in Verbindung mit der Energieerzeugung durch Kernre-
aktoren heutiger Bauart denkbar sind. Wie der TMI-2-Unfall zeigte, bleibt ein solches Ereignis be-
herrschbar, solange der Reaktordruckbehälter seiner Aufgabe als Aktivitätsbarriere gerecht wird
und die Schmelze im Druckbehälter einschließt. Das Druckbehälterverhalten unter diesen Bedin-
gungen ist deshalb von außerordentlicher Bedeutung für den Unfallablauf und Gegenstand aktueller
Forschungen zur Reaktorsicherheit.
An der Königlich-Technischen Hochschule Stockholm wird im Rahmen eines umfangreichen Pro-
gramms (FOREVER - Failure Of REactor VEssel Retention) die Verformung und das Versagen des
Druckbehälters unter der thermischen Belastung einer oxidischen Schmelze untersucht. Es dient in
erster Linie der Verifikation komplexer Rechencodes, die den Kernschmelzunfall zu simulieren
gestatten. Die Versuchsanlage ist ein 1:10-Modell des unteren Druckbehälters, bestehend aus einer
halbkugelförmigen Kalotte und einem angeschweißten zylindrischen Teil. Diese Kalotte wird mit
ca. 15 | oxidischer Schmelze (30 % CaO, 70 % B03) gefüllt und zusätzlich mit Innendruck belastet.
Die Schmelze wird zur Simulation der Nachzerfallswärme elektrisch von innen beheizt. Tempera-
tursonden und LDT-Wegaufnehmer messen den zeitlichen Verlauf des Temperaturfeldes und der
Kesselverformung. Versuchsparameter einer ersten Versuchsreihe sind Temperatur der Schmelze
und Innendruck. Die Versuche werden durch FEM-Rechnungen begleitet. Eingehende Informatio-
nen zum FOREVER-Programm und zu den ersten Experimenten sind in (1-3) enthalten.
Bisher wurden 5 Experimente durchgeführt. Nach Abschluss der ‚ersten vier Experimente wurden
metallografische Nachuntersuchungen durchgeführt. Sie sollten
Wechselwirkungen zwischen der Schmelze (innen) und der Umgebungsatmosphäre (außen)
nachweisen,
Gefügeänderungen als Folge des Belastungsregimes feststellen,
Materialschädigungen identifizieren und
Abschätzungen der maximalen Temperaturbelastung ermöglichen.
Die letztgenannte Aufgabe ist vor allem deshalb bedeutsam, weil im Verlauf der Experimente zahl-
reiche Temperaturmessstellen ausfielen.
Nicht zuletzt erweitern derartige Nachuntersuchungen das Expertenwissen über das Materialver-
halten bei Kernschmelzunfällen. Das kann hilfreich bei der Rekonstruktion von Unfallabläufen sein.
Im Falle des TMI-Unfalles musste das Wissen erst nachträglich über ein ausgedehntes Forschungs-
programm gewonnen werden.
Die Arbeit gibt einen knappen Überblick über einige der beobachteten Phänomene. Eine ausführli-
che Darstellung der Untersuchungsergebnisse der Experimente FOREVER-1 und -2 ist in (4) gege-
hen
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