Prakt. Met. Sonderband 38 (2006) 97
Gefiigebewertung an einem martensitischen Werkstoff durch
Transmissionselektronenmikroskopie (TEM) und
Neutronenkleinwinkelstreuung (SANS)
M. Sonnleitner’), M. Klein), K. Spiradek-Hahn?), P. Staron®), H. Leitner*), H. Clemens*)
1) voestalpine Stahl GmbH, Linz
2) ARC Seibersdorf research GmbH, Seibersdorf
3) GKSS Forschungszentrum, Geesthacht
4) Department Metallkunde und Werkstoffprüfung, Montanuniversität Leoben
Abstract
Die Transmissionselektronenmikroskopie (TEM) erfährt breite Anwendung bei der Gefüge- und Aus-
scheidungscharakterisierung, während die Neutronenkleinwinkelstreuung (SANS) als komplimentäre
Methode zur Ausscheidungsanalyse bislang nur punktuell eingesetzt wird. In den vorliegenden Unter-
suchungen werden beide Methoden an einem martensitischen Stahl im gehärteten und angelassenen
Zustand angewandt. Es zeigt sich, dass die Ergebnisse beider Verfahren im Einklang stehen und eine
qualitative Analyse der SANS-Messungen bereits Hinweise auf die Vorgänge im Werkstoff liefert.
Eine quantitative Auswertung der SANS-Streukurven ist jedoch nur bedingt möglich.
1 Einleitung
Die Beurteilung eines Werkstoffs hinsichtlich seines Gefügeaufbaus ist für die Werkstoffwissenschaft
von zentralem Interesse, weil viele Werkstoffeigenschaften eine unmittelbare Folge des Gefüges sind.
Bereits bei der Beschreibung feinstrukturierter Materialien, zu denen auch wichtige industrielle Struk-
turwerkstoffe wie bainitische und martensitische Stähle zählen, stoßen lichtoptische Abbildungsver-
fahren an ihre physikalischen Grenzen. Ein zusätzlicher Informationsgewinn kann durch elektronen-
optische Methoden (REM, TEM) erreicht werden, allerdings nimmt mit steigender Vergrößerung die
statistische Aussagekraft ab, weil der untersuchte Probenbereich zunehmend kleiner wird.
Im Falle feiner, festigkeitswirksamer Ausscheidungen erlaubt das TEM den Nachweis und die Ana-
Iyse dieser Teilchen, sie kann aber nur unter sehr hohem Aufwand eine quantitative Aussage über
Größe und Größenverteilung derselben liefern. Um eine statistisch abgesicherte Information über
diese Parameter zu erhalten, bieten sich Kleinwinkelbeugungsexperimente an. Mithilfe thermischer
Neutronen, deren Wellenlänge bei einigen Ängström liegt, können Ausscheidungen im Größenbe-
reich zwischen 1 und 100 nm analysiert werden. Aus den Gesetzmäßigkeiten der Bildentstehung bei
Beugungsuntersuchungen folgt jedoch, dass zur Interpretation der Streukurven Informationen über
Form und Zusammensetzung der streuenden Objekte notwendig sind. Die Kleinwinkelstreuung ist
daher eine Komplementärmethode zu den abbildenden Verfahren der metallkundlichen Analytik.
Gegenstand der vorliegenden Untersuchungen ist ein martensitischer Stahl, der neben Zementit noch
weitere Ausscheidungen (Karbonitride, Cu) enthält. Es kommen u.a. Raster- und Transmissions-
elektronenmikroskopie und Neutronenkleinwinkelstreuung (small-angle neutron scattering, SANS)
zum Einsatz. Ziel ist, die Bildung der Ausscheidungen im Zuge einer Wärmebehandlung zu ver-
folgen. Bislang existieren nur wenige Untersuchungen mittels SANS-Experimenten an vergleichba-
ren Werkstoffen. An martensitischen Stählen wurde u.a. von Albertini eta/.! die Bildung feiner
Cr-C-Cluster untersucht, Allen et a/.Pl behandelte M,C-Ausscheidungen in Co-Ni-Martensiten und
Staron et al.Bl beschäftigte sich mit intermetallischen Ausscheidungen in Maraging-Stählen. In-situ-
Ausscheidungsmessungen von Nb(C,N) im Austenit wurden von Van Dijk et al. durchgeführt.