Full text: Agrarpolitik

56 V. Kreditpolitik in der Landwirtschaft. 
erfüllen. Woher soll so ein Professor mit dem normalen Lebensweg 
vom Privatdozenten aufwärts die Möglichkeit haben, gründlichen 
Einblick in das ganze Schätzungs- und Kreditwesen der Landwirtschaft 
zu bekommen? Man sehe sich doch die geradezu jämmerliche Literatur 
an, die wir auf dem Gebiete des landwirtschaftlichen Taxwesens bis 
in unser Jahrhundert hinein gehabt haben. Den Namen Wissenschaft 
verdiente sie wahrhaftig nicht. Schuld daran ist der Staat aber in- 
sofern, als an allen landwirtschaftlichen Hochschulen die Geistes- 
wissenschaften, und besonders alle reinen Naturwissenschaften, vor 
den praktischen Wissenschaften den Vorrang hatten, weil sie mehr 
den Anstrich der Gelehrsamkeit hatten. Wollen wir aber mit un- 
serem Wirtschaftsleben voran kommen, dann müssen wir an die 
Stelle dieser Gelehrsamkeit etwas mehr Lebensweisheit setzen. Ge- 
schieht das, so wird allmählich auch die landwirtschaftliche Taxations- 
lehre als Hauptgrundlage unseres so wichtigen Kreditwesens zu ihrem 
Rechte kommen. 
b) Die Beschränkung des Agrarkredites und die Vererbung 
des Grundbesitzes. 
Die Hauptanlässe zur Beanspruchung des Agrarkredites sind, wie 
wir bisher sahen: 
1. Außerordentliche Ausfälle durch Mißwachs, Feuersbrunst, Vieh- 
sterben und andere Unglücksfälle (Notstandskredit). 
2. Die Durchführung von Bodenmeliorationen und Betriebs- 
erweiterungen (Meliorationskredit). 
3. Der Ankauf von Landgütern und Grundstücken mit einem 
Vermögen, welches die volle Auszahlung des Kaufpreises nicht gestattet 
(Ankaufskredit). 
4. Die Übernahme von Landgütern und Grundstücken im Erb- 
gange, bei welchem mehrere Erben sich das Erbe des Erblassers zu 
teilen haben; und zwar treten dabei wiederum große Unterschiede 
hervor, je nachdem ob es sich um Naturalteilung des Erbes oder nur 
um Vermögensteilung mit Übergang des Eigentumstitels des ganzen 
Besitzes an einen der Erben handelt. In beiden Fällen werden Erb- 
auseinandersetzungskredite benötigt, im erstgenannten Fall zwecks Ein- 
richtung der Teilbetriebe, im letztgenannten Fall zwecks Auszahlung 
der von den Geschwistern geerbten Vermögensteile (Geschwistergelder). 
In allen Fällen der Beanspruchung des Kredites bedeutet das 
für den Kreditnehmer eine Verschuldung, welche ihm die Verpflichtung 
der Verzinsung und frühere oder spätere Rückzahlung der Darlehen 
auferlegt. Im Augenblick der Kontrahierung der Schulden werden 
diese Pflichten seitens des Kreditnehmers aber gern mit in den Kauf 
genommen, weil sie beim Notstandskredit das kleinere Übel, beim 
Meliorationskredit, Ankaufskredit und Erbauseinandersetzungskredit 
der Einsatz für relativ großen Gewinn sind. 
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