Full text: Immanuel Kant's sämmtliche Werke (6. Band)

526 Ueber den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein ete. 
seine Einwilligung erhält, so lange man will, wenngleich mit der Ein- 
schränkung, (welche auch wohl, wie bei den Indiern, bisweilen durch 
lie Religion sanctionirt wird,) es nicht zu verkrüppeln oder zu tödten. 
Man kann ihn in jedem Zustande für glücklich annehmen, wenn er sich 
nur bewusst ist, dass es nur an ihm selbst, (seinem Vermögen oder ernst- 
lichen Willen,) oder an Umständen, die er keinem Anderen Schuld geben 
kann, aber nicht an dem unwiderstehlichen Willen Anderer liege, dass 
er nicht zu gleicher Stufe mit Anderen hinaufsteigt, die als seine Mit- 
nterthanen hierin, was das Recht betrifft, vor ihm nichts voraus haben.* 
3. Die Selbstständigkeit (sibisufficientia) eines Gliedes des ge- 
meinen Wesens als Bürgers, d. i. als Mitgesetzgebers. In dem Punkte 
der Gesetzgebung selbst sind Alle, die unter schon vorhandenen öffent- 
lichen Gesetzen frei und gleich sind, doch nicht, was das Recht betrifft, 
jese Gesetze zu geben, Alle für gleich zu achten. Diejenigen, welche 
dieses Rechts nicht fähig nicht, sind gleichwohl als Glieder des gemeinen 
esens der Befolgung dieser Gesetze unterworfen und dadurch des 
chutzes nach denselben theilhaftig; nur nicht als B ürger, sondern als 
chutzgenossen. — Alles Recht hängt nämlich von Gesetzen ab. 
* Wenn man mit dem Wort gnädig einen bestimmten, (von gütig, wohlthätig, 
schützend und dergl. noch unterschiedenen) Begriff verbinden will, so kann es nur 
demjenigen beigelegt werden, gegen welchen kein Zwangsrecht statthat. Also 
nur das Oberhaupt der Staatsverwaltung, das alles Gute, was nach Öffentlichen 
esetzen möglich ist, bewirkt und ertheilt, (denn der Souve rain, der sie gibt, ist 
gleichsam unsichtbar; er ist das personificirte Gesetz selbst, nicht Agent,) kann g nä- 
diger Herr betitelt werden, als der Einzige, wider den kein Zwangsrecht statthat. 
So ist selbst in einer Aristokratie, wie z. B. in Venedig, der Senat der einzige gnä- 
ige Herr; die Nobili, welche ihn ausmachen, sind insgesammt, selbst den Doge 
nicht ausgenommen, (denn nur der grosse Rath ist der Souverain,) Unterthanen 
und, was die Rechtsausübung betrifft, allen Anderen gleich, nämlich, dass gegen 
eden derselben ein Zwangsrecht dem Unterthan zukömmt. Prinzen, (d.i. Personen, 
denen ein Erbrecht auf Regierungen zukommt,) werden aber nun zwar auch in dieser 
Aussicht und wegen jener Ansprüche (hofmässig, par Ccourtoisie,) gnädige Herren ge- 
nannt; ihrem Besitzstande nach aber sind sie doch Mitunterthanen, gegen die auch 
em geringsten ihrer Diener vermittelst des Staätsoberhauptes ein Zwangsrecht 
ukommen muss. Es kann also im Staate nicht mehr, als einen einzigen gnä- 
igen Herrn geben. Was aber die gnädigen (eigentlich vornehmen) Frauen be- 
trifft, so. können sie so angesehen werden, dass ihr Stand zusammt ihrem Ge- 
Schlecht, (folglich nur gegen das männliche,) sie zu dieser Betitelung berechtige, 
und das vermöge der Verfeinerung der Sitten (Galanterie genannt), nach welcher das 
männliche sich desto mehr selbst zu ehren glaubt, als es_dem_ schönen Geschlech 
über sich Vorzüge einräumt.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.