Das innerliche Zentrum, aus dem das sittliche Handeln des Einzel-
€ nen emporsteigt, legt Kant so tief ins Ich hinein, daß es überhaupt
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el nicht zu den erscheinenden Gegenständen gehören kann. Es ist nur
in gleichsam indirekt durch den Verstand erschließbar, ist nur intelli-
in gibel, aber nicht anschaulich-empirisch. Dieser innerste Punkt des
he Ich ist sein intelligibler Charakter. Es ist der unsichtbare und unde-
= finierbare Seelengrund der Mystiker, in die Klarheit begrifflicher
ei Fixierung erhoben. Die erscheinende Tat, die Ehrlichkeit des Kauf-
x manns beispielsweise, mag allen erkennbaren Bedingungen sittlicher
ot Forderungen genügen. Dennoch braucht ihr kein sittlicher Wert zu-
zukommen. Denn sie kann aus einer Berechnung des eigenen Glücks
. und Vorteils erfolgt sein, die nach keiner Richtung hin in Erschei-
16 nung getreten ist. Die Sorge, in der Gesellschaft eine möglichst hohe
N Achtung zu genießen, kann die gleichen Taten hervortreiben, wie
wahrhaft selbstlose Güte. Das Gefühl der Befriedigung über ausge-
h führte gute Werke braucht nicht der Maßstab sittlichen Tuns zu sein,
m wenn Neigung zur Befriedigung durch angenehme Gefühle mit-
u spricht. Ehrgeiz und Pharisäertum produzieren viele gute Taten, aber
. moralisch sind die Gesinnungen nicht, aus denen sie fließen.
N Gewiß sind diese Handlungen pflichtmäßig, sofern sie dem Gebot
% des Sittengesetzes entsprechen; aber um wahrhaft sittlich zu ‚sein,
1 müssen sie aus Pflicht geschehen. Die Pflicht muß das Motiv sein,
ee und nichts anderes darf bei der Handlung mitwirken, was sie gleich-
x wohl in dieselbe Richtung zu lenken vermag. Aus Pflicht! Gleich-
nn gültig, welchen Inhalt die Pflicht gebietet. Nur wenn das Ich durch
die Pflicht allein bestimmt ist, dann handelt sein intelligibler Cha-
. rakter, denn nur dann ist nach Kant das Ich nicht durch einen Inhalt,
also durch einen Erfahrungsgegenstand bestimmt. Dann allein ist jede
von außen kommende Triebfeder ausgeschlossen. Nur dann ist es das
eigene Selbst, was die Handlung bestimmt. Dieses Selbst ist dabei
zwar gehorsam dem Sollen durch Pflicht; aber dieses Sollen ist gerade
| der Ausdruck unseres Selbst und seiner intimen Gesetzlichkeit. Dieses
Selbst bleibt nur dann mit sich identisch, wenn es frei ist, frei von
aller Naturkausalität. Die Seele des Mystikers sucht sich gleichfalls
. von aller Erdgebundenheit freizumachen, um durch die Askese hin-
. durch zu Gott zu gelangen. Frei sein bedeutet daher, positiv genom-
men, nichts anderes als nur durch das Sollen bestimmt handeln. Das
Sollen ist kein sinnlich-wahrnehmbares Ding, es ist überhaupt kein
Objekt, weil es Prinzip für alles objektive Handeln ist. Das, was ge-
sollt ist, kann ebenfalls nicht Gegenstand sinnlicher Wahrnehmung
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