werden. Nur weil es nicht ist, darum hat es überhaupt einen Sinn,
es zu gebieten. Nur Nicht-Seiendes kann gesollt werden. Das Sollen
drückt nur das Richtungsmoment des Handelns und damit des Ich
als Selbst aus, ohne eine bestimmte Richtung zu fixieren. Im intelli-
giblen Charakter, oder, was dasselbe ist, im sittlichen Ich, im Ich
als Möglichkeit sittlicher Ordnung, fallen Freiheit und Gehorsam,
sonst die am schärfsten sich widersprechenden Pole alles Wirkens,
zusammen, so wie in der theoretischen Gegenständlichkeit das Ich
und die logische Gesetzlichkeit des Urteils zusammengehen. Im my-
stischen Seelenfünklein wächst die Seele durch den Gehorsam gegen
Gott zur inneren Freiheit empor. Im Sollen folgt das Ich nur seinem
eigenen Gesetz, dem Gesetz, das es sich selbst gibt, und so ist es nur
im sittlichen Handeln frei und autonom. Sittlichkeit ist Autonomie
des Handelns und nicht Heteronomie. Sie ist nicht das Bestimmtsein
durch das Nichtich, die Erfahrungsgegenstände.
4. Das Sollen steht unter keinerlei beschränkenden Bedingungen,
denn es ist das Prinzip der Autonomie. Es ist unbedingt gültig, so
wenig es auch tatsächlich in den Handlungen der Menschen realisiert
sein mag. Es bedeutet daher einen „kategorischen Imperativ“, bei
dem es keinerlei einschränkendes Wenn und Aber geben darf. Das
„Du sollst“ gilt schlechthin; und niemals kann es heißen: Du sollst,
um dieses oder jenes Ziel zu erreichen. Das wäre nach Kants Ansicht
Heteronomie der Moral und nicht mehr unbedingt gültig. Mit diesem
unbedingt gültigen Sollen konstituiert Kant den Begriff des Sittlichen.
Aber seine Methode reicht über den Bereich des moralischen Wertes
hinaus. Im Sollen ergreift Kant das Moment, das den Wertbegriff
überhaupt definiert. Gültiger Wert und Gesolltes sind korrelativ. Der
kategorische Imperativ ist die prinzipielle Bedingung für die unbe-
dingt gültigen Werte. Die Einheit dieser Mannigfaltigkeit aber kann
nicht nach theoretischer Methode gesucht werden. Hier greift der
Kulturbegriff als die Norm des tatsächlichen Lebens ein; denn der
kategorische Imperativ gibt nur das formale Konstitutionsprinzip des
objektiv gültigen Wertes überhaupt an. Es ist ein völliges Verkennen
der Begriffsnatur des Wertes, wenn man ihn als ein ursprüngliches,
nicht weiter beschreibbares Gefühl deutet, mit dem wir unsere Vor-
stellungen begleiten können wie das „ich denke“ Kants“, Gültiger
Wert ist vielmehr ein Begriff, der das Normative an allen Handlungen
gliedert und sie zu objektiv gültigen macht.
Durch. den Wert, seine Mannigfaltigkeit und seine Abstufungen
wird das Wirkliche nach ganz neuen, mit der Naturordnung nicht
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