Full text: Kant

unsittlichen Handelns kann nicht aufgehoben werden; sie kann nur 
eingeschränkt werden. 
Das Sittengesetz verlangt unbedingtes Handeln; es spricht sich 
damit als Feind alles Nichtstuns aus. Kontemplativer Lebensstil ist 
ihm zwar nicht fremd, aber es läßt ihn nur zu, sofern er Mittel zum 
Handeln ist, zum Gestalten des Wirklichen. Denn auch das ist ein 
Gestalten im weiteren Sinn, wenn die Wahrheit über die Dinge er- 
forscht wird. Zugleich aber wählt das Sittengesetz unter den mög- 
lichen Arten des Handelns aus. Es fordert richtungbestimmtes Han- 
deln, und zwar jederzeit. Kein planloses Hin und Her, sondern ziel- 
bestimmtes Handeln ist gesollt. Es ist ein Stück Lebensstimmung des 
Abendlandes, überhaupt aller jugendfrisch tätigen Völker, dessen 
letzte theoretische Wurzeln uns Kant ausgräbt. Seine Formulierung 
spricht eine ungeheure Kraft der dem Ich entströmenden Lebens- 
energie aus, wenn er die Frage der faktischen Durchführbarkeit des 
Handelns auf der Seite stehen läßt. Es ist eine Herrschaft des Geistes 
ohnegleichen über die Materie, die sie postuliert. Das Leben, das 
Kant geführt hat, ist eine einzige große bejahende Antwort auf die 
Frage nach der Möglichkeit, das Sittengesetz durchzuführen. 
Nur die Form des eigenen Willens bestimmt sich im Sittengesetz. 
Diese tatsächliche Form des Willens, die konstante Richtung, die der 
Wille tatsächlich unter der Bedingung des Sittengesetzes nimmt, 
drückt sich aus im Begriff der Gesinnung. Das Gesetz der Gesinnung 
ist stets empirisch, weil die Gesinnung ein psychologisches Faktum ist, 
das stets an ein empirisches Ich gebunden ist. Dieses Gesinnungsgesetz 
ist die Maxime. Selbst wenn alle Menschen dieselben Maximen hätten, 
so wäre damit nur ein Gesetz von empirischer Allgemeinheit ausge- 
sprochen. Es wäre ein Gesetz, das auch das Glückseligkeitsstreben 
der Menschen unter sich begreifen würde. Das Sittengesetz liegt da- 
gegen in einer Ebene über jeder Maxime; es ist Richtigkeits- und 
Richtungskriterium für jede Maxime, indem es an jeder gegebenen 
Maxime entscheidet, ob sie gut ist oder schlecht, richtig oder falsch. 
Kant gibt keine spezifische Richtung an für die Maxime. Auch sie 
ist „allgemein“ gestaltet. Nur dann ist der Wille ein sittlich guter, 
wenn das subjektive Willensgesetz, die Maxime, so beschaffen ist, 
daß sie jederzeit Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung werden 
kann, und wenn aus dieser Maxime heraus gehandelt wird. Ja, Kant 
drückt sich einmal in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten 
noch vorsichtiger aus, indem er ein „als ob‘ vorausschickt. Gerade 
diese Formulierung ist um so bemerkenswerter, als er hier dem Be- 
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