dem bloßen Begriffe, a priori, ohne alle Erfahrungsverhältnisse, z. B.
‚ob Gütergleichheit oder ob Eigenthum in meine Maxime aufgenom-
men werde‘, nach dem Satz des Widerspruchs beurtheilen kann),
dieses ein unfehlbares Kennzeichen der moralischen Unmöglichkeit
der Handlung sei.“ (VIII, 421.)
Diese Bedeutung des Widerspruchsatzes als moralisches Kriterium
findet außerdem noch eine gewisse Bestätigung darin, daß ihn Kant
in der Kritik der theoretischen Vernunft nicht ohne Beziehung zum
Praktischen gebraucht. Dort legt er ihm als wesentliche Funktion
die Abwehr des Irrtums bei. Der Irrtum aber ist ein psychologisches
Faktum, normiert allerdings durch logische Gesichtspunkte. Der Wi-
derspruchsatz ist daher das negative Leitprinzip für den psycholo-
gischen Prozeß der Erkenntnis. Diesen faktisch vor sich gehenden
Prozeß darf man aber als ein theoretisches Tun, als einen vom Ich
gestalteten und bewirkten Vorgang ansehen; für dieses Tun ist der
Widerspruchsatz eine Norm, nach dem es sich richten soll, um die
Wahrheit zu erfassen. Dem Widerspruchsatz kommt somit eine prak-
tische Bedeutung zu; er fordert indessen ein theoretisch geformtes
Substrat für die Tatsache, die er normieren soll. Als dieses theore-
tische Sinngefüge bleibt aber nur die allgemeine Gesetzgebung übrig.
Der Widerspruchsatz verlangt nun notwendig zwei Urteile, die von
demselben Gegenstande Widersprechendes aussagen. Im Beispiele soll
der Einzelne nicht lügen, weil das Lügen nicht allgemeine Gesetz-
gebung werden kann. Jedermann soll das Lügen vermeiden. Nun ist
aber gar nicht einzusehen, weshalb die allgemeine Gesetzgebung nicht
auch lauten darf: Jedermann soll lügen. Dieser formale Begriff der
allgemeinen Gesetzgebung ist zusammen mit dem Widerspruchsatz
also nicht imstande, eine Entscheidung zu geben .
Will man sich darauf berufen, daß es im Begriff der Aussage eines
empirischen Ich liege, wahr zu sein, oder im Begriff des Depositums
als eines anvertrauten Gutes die theoretische Unmöglichkeit der Un-
terschlagung gefordert sei, so ist im ersten Falle zu bedenken, daß die
Aussage des empirischen Ich ein Gegenstand der Psychologie ist, so-
mit eine Tatsache, die mit ihrem Sinngehalt keineswegs notwendig
durch das Wahrheitsmoment bedingt ist. Das Ich kann beabsichtigt
unwahre Aussagen machen; auch diese stehen unter dem Begriff der
psychischen Tatsache. Erst wenn Wertbeziehungen zum Wahrheits-
werte unterstellt werden, kann die Forderung erhoben werden, daß
die Aussage wahr sein soll. Beim anvertrauten Gut muß zuvor die
Frage entschieden werden, mit welchem Rechte man überhaupt einen
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