Full text: Kant

nis, sondern nur deren allgemeine Bedingungen werden miteinander 
verknüpft. Die voraufgegangenen Betrachtungen, die diese bedeut- 
same Nuance seiner Formulierung mit Absicht unbeachtet ließen, 
weil sie seine Gedankengänge in der Richtung auf die Verknüpfung 
des Allgemeinen mit dem Besonderen weiterzuführen suchten, er- 
leiden durch diese Feststellungen keine Einschränkung; im Gegenteil 
erfahren sie jetzt in ihrer Tendenz, nachzuweisen, daß das allgemeine 
formal gefaßte Sittengesetz grundsätzlich nicht in der Lage sein kann, 
den besonderen Fall mit seinen Begriffsmitteln voll und ganz auszu- 
messen, eine begründende Ergänzung durch Kants eigene Worte. 
Aber auch von der besonderen historischen Bedingtheit des kanti- 
schen Denkens aus lassen sich eine Reihe von Gesichtspunkten gel- 
tend machen, die Kant verbieten mußten, die Bestimmungsmöglich- 
keiten seines Sittengesetzes sich bis in den Einzelfall hineinerstrecken 
zu lassen: 
a) Das klassische Stilgefüge seiner Begriffe hält sich überhaupt in 
einem gewissen Abstande von der Irrationalität des Lebens. Die Statik 
dieser Gedankenbildungen vermag mit ihrem starren Ernst sich nicht 
der munteren Biegsamkeit und dem steten Fließen in der Dynamik 
des Lebens anzugleichen. 
b) Die Gesetzesallgemeinheit im naturwissenschaftlichen Denken 
ferner hat Kant, obgleich er den naturalistischen Eudämonismus des 
18. Jahrhunderts mit seinem nivellierenden Freiheitsbegriff ablehnte, 
ein so eindringliches Beispiel gegeben, daß ihm die Art dieser Allge- 
meinheit als Norm für jede Gesetzesallgemeinheit vorschweben 
mochte, zumal die Statik der naturwissenschaftlich mathematischen 
Begriffe der Starrheit seines Klassizismus entgegenkam. Kant erklärt 
ja auch, daß die „Form der Gesetzmäßigkeit‘“ des Sittengesetzes mit 
der „Form des Naturgesetzes“ überhaupt übereinstimmt. (V, 70.) 
Auf diese naturalistische Fassung des Sittengesetzes in der Grund- 
legung zur Metaphysik der Sitten war früher schon hingewiesen 
worden. 
c) In der primitiven Einfachheit kleinbürgerlichen Lebens, wie es 
sich in einer kleinen Stadt, fern von den größeren Verkehrsadern, 
im 18. Jahrhundert in Deutschland abspielte, war es Kant nicht ver- 
gönnt, in die große Verwickeltheit der Wertprobleme, wie sie das 
Großstadtleben mit sich bringt, auf Grund eigenen Erlebens Einsicht 
zu nehmen. Die Wirrnis der Wertungsmöglichkeiten und Wertnormen, 
die das 19. Jahrhundert mit seinem Durcheinanderwachsen der wirt- 
schaftlich-technischen, der historisch auswertenden Denkweise und 
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