Full text: Kant

12. Die Freiheit als Bedingung der Kultur 
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N 1. Die Erfahrungstranszendenz der moralischen Begriffe und wie- 
3- derum ihre erstrebte Korrelativität zur Wirklichkeit spiegelt sich mit 
ar besonderer Intensität in seinem Begriff der Freiheit wieder. Freiheit 
N ist niemals Tatsache und darf niemals Tatsache werden. Freies Han- 
1sS deln, also völlig reines sittliches Handeln darf nicht existieren, denn 
a für ein solches Ich hätte das Sollen, das stets ein Seiendes nach einem 
ar Nichtsein normiert, aber gerade deshalb niemals endgültig darnach 
1S zu gestalten vermag, keinen Sinn mehr. So ergibt sich das merkwür- 
rt dige Paradoxon, daß die absolut gesollte Handlungsweise sich nicht 
N nur niemals verwirklichen kann, sondern daß sie auch niemals ver- 
N wirklicht werden darf. Ist sie nämlich streng verwirklicht, dann 
ie müßte das Sittengesetz mit dem Naturgesetz zusammenfallen und 
in gerade die Wertunterschiede, die durch die methodologische Ver- 
tz schiedenheit in den Strukturen der sittlichen und natürlichen Ord- 
Ä- nungen begründet sind, würden sich in einen Wertindifferentismus 
Ss auflösen, der den Begriff des Sittlichen problematisch macht. Dann 
n wäre die Wirklichkeit nicht nur tatsächliche Kultur, sondern voll- 
:h endete ideale Kultur. Dann müßte der Kulturzustand mit dem Kultur- 
ideal zusammenfallen. Weil jedes Tun und Denken dann höchstwertig 
'k wäre, ja nach Kant sogar unendlichen Wert besäße, so würden sich 
te verschiedene Niveaus und Abschattungen der sittlichen Werte nicht 
4- mehr bestimmen lassen, es müßte ein Gefüge des Wirklichen ent- 
‚u stehen, das in seiner unendlichen Wertsteigerung jedes Wertmaß- 
n stabes entbehren müßte. Die Natur wäre gänzlich aufgelöst in ein 
mn System von notwendigen Mitteln für die Erhaltung des Kulturideals. 
2S Denn nur in dieser Gestalt könnte sie völlig sich unter die Bedingungen 
. der Freiheit beugend gedacht werden. Der Freiheitsbegriff kann hier- 
nach immer nur als Idee gedacht werden, und es könnte hiernach 
niemals weder wahrhaft freie noch auch gradhaft freie Handlung 
geben. 
Indessen Freiheit ist kein statisches Gefüge, ist kein Zustand, son- 
dern Freiheit bedeutet, wenn man sie ihrer strengen Erfahrungstrans- 
zendenz entkleidet und sich auf ihre notwendige Beziehung zur Er- 
fahrungswirklichkeit besinnt, wenn Freiheit von dieser Welt sein soll, 
eine Funktion, ein Werden; sie ist eine Dynamik zwischen Gültigem 
und der Wirklichkeit. Sie erscheint in der Tatsache, daß eine relative 
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