Verwirklichung der Freiheitsordnung in den Kultureinheiten statthaft
und auch prinzipiell möglich sein muß. Denn es hätte, wie schon ein-
mal betont, keinen Sinn, wenn Normen gültig wären, ohne daß die
geringste Aussicht bestände, sie jemals, wenn auch in noch so gerin-
gem Grade, verwirklichen zu können. Der Mensch muß, soll er über-
haupt irgendwie als sittliches Wesen wirken können, ein Minimum
von Einfluß auf die Gestaltung seiner natürlichen Umwelt besitzen.
Für Kant bedeuten Freiheit und Naturkausalität zwei sich aus-
schließende Welten; entweder ist Naturkausalität oder Freiheit. Die
gesamte Erscheinungswelt als Aggregat sinnlicher Einheiten ist kausal
bestimmt, wie es das Ergebnis der Kritik der theoretischen Vernunft
gewesen war. Das empirische Ich ist darin nichts als ein Gegenstand
neben den anderen, ist ein Durchschneidungspunkt von Kausalreihen.
Es ist ein „Fall“ neben den anderen Fällen, die unter den Bedingungen
der naturwissenschaftlichen Gesetzesallgemeinheit stehen. Das Ich ist
Glied von Kausalreihen, wie ein mechanischer Körper auf eine Reihe
von anderen wirkt. Die einzelnen Fälle sind gleich wertvoll und gleich
wertlos, keines der Glieder ragt unter den anderen hervor durch einen
besonderen Wert. Dieser Mechanismus der Erscheinungswelt, in des-
sen Gefüge sich für Kants Anschauung die Erfahrungsgegenstände
erschöpfen, mußte ihn dazu drängen, alle Wertunterschiede, insbe-
sondere den unvergleichbaren Selbstwert der Persönlichkeit außer-
halb des Rahmens dieser Gesetzesbedingungen zu stellen. Das Jenseits
der Erfahrung, das als die einzige Gebietsmöglichkeit für wertgesetz-
liche Gegenstände noch übrig blieb, mußte dabei aus seiner bloß nega-
tiven Funktion der unerkennbaren Dinge an sich heraustreten. Aber
die positive Funktion ließ sich bei der methodologischen Geschlossen-
heit der Erfahrungserkenntnis von den Bedingungen des Erfahrungs-
gegenstandes aus nicht eindeutig bestimmen. Wohl rückt, wie wir
sahen, die moralische Gegenständlichkeit allmählich in das leer ste-
hende Haus ein, aber ihr Formalismus hatte zu wenig Fülle, um alle
Räume zu besetzen. Wenn der intelligible Charakter zum Struktur-
prinzip der Persönlichkeit wird, so bleibt auch diese Bestimmung
insofern im Negativen stecken, als sie von der Mannigfaltigkeit der
einzelnen Charaktermöglichkeiten, geschweige denn Charaktertat-
sächlichkeiten nichts weiß.
Als Persönlichkeitsprinzip ist der intelligible Charakter die ichhafte
Einheit der wertbestimmten Gliederung des Weltverstehens und Welt-
gestaltens, die sich nur negativ durch ihre Gliedschaft einer übersinn-
lichen Ordnung ausdrückt. Sie bedeutet überall den „Anfang“ einer
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