Full text: Kant

nünftigkeit religiöser Gegenstände abgewehrt. Denn die Einheit des 
Kulturbewußtseins verlangt Sinnkontinuität und Sinneinheit zwischen 
ihren einzelnen Inhalten. Für die Mannigfaltigkeit dieser Inhalte 
findet Kant in den drei Ideen die letzte Bewußtseinseinheit und Ganz- 
heit. Schon in der Kritik der reinen Vernunft erklärt Kant von 
der Vernunft als dem Vermögen der Ideen: „So bezieht sich demnach 
die Vernunft nur auf den Verstandesgebrauch ...,.. um ihm die 
Richtung auf eine gewisse Einheit vorzuschreiben, von der der Ver- 
stand keinen Begriff hat, und die darauf hinausgeht, alle Verstandes- 
handlungen in Ansehung eines jeden Gegenstandes in ein absolutes 
Ganzes zusammenzufassen‘‘ (III, 253). Zwischen den Ideen und dem 
Gottesstaat, der Vernunftkirche auf Erden, besteht daher eine innige 
Wechselbeziehung. Die logische Beziehung zwischen dem formalen 
Ich und der materialen Mannigfaltigkeit der Gegenstände projiziert 
sich auf die Ebene der Bewußtseinsganzheit in der Gestalt der Ideen 
von der Seele und der Welt. Diese Ideen werden unter den höchsten 
Einheitsmaßstab, Gott als das Ideal der Vernunft, gestellt und ge- 
winnen in der Seele als Glied des Gottesstaates und im Gottesstaate 
selbst ideale Strukturform. Gott faßt die einzelnen Glieder und den 
Gottesstaat zusammen in einer höchsten Einheit, in der das einzelne 
Glied mit dem Allgemeinen dieses idealen Staatswesens zu einer letz- 
ten Ganzheit möglichen Erlebens im idealen Kulturbewußtsein zu- 
sammenschmilzt. „Das Ideal.des höchsten Wesens ist nichts anderes, 
als ein regulatives Princip der Vernunft, alle Verbindung in der Welt 
so anzusehen, als ob sie aus einer allgenugsamen nothwendigen Ur- 
sache entspränge, um darauf die Regel einer systematischen und nach 
allgemeinen Gesetzen nothwendigen Einheit in der Erklärung dersel- 
ben zu gründen“ (IIT, 412). Das Ich und sein korrelativer Begriff, der 
Gegenstand, sofern er dem Ich gegenübersteht, erfahren im religiösen 
Seelen- und Weltgedanken eine Auffüllung und gleichsam eine Reali- 
sierung ihrer Inhaltsmöglichkeit, deren Richtung sich durch die Fülle 
und Totalität des religiösen Werterlebnisses bestimmt. Seele als ich- 
haftpersonale Wertrangordnung mit ihrer Einzigkeit und Individua- 
lität, die von jeder anderen Seele verschieden ist, und die Welt als die 
eine und einzige gegenständliche Wertranggestalt sind aufeinander, 
sich gegenseitig gestaltend, bezogen. Nun ist Gott der Inbegriff und 
das Erlebnis der höchsten Werte und zugleich aller Werte und wert- 
möglichen Gegenstände, als einer Ganzheit, wie das Ideal der reinen 
Vernunft diesen Gedanken nach seiner theoretischen Funktion hin 
charakterisiert. Mithin muß gerade der religiöse Gottesbegriff es sein, 
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