austritt, um sich in der Einbildungskraft mit transzendentalem Ge-
wande zu bekleiden.
Die Art der objektiven Gültigkeit des ästhetischen Urteils gewinnt
so eine bestimmtere Farbe; sie begründet sich zwar in der Ichgliede-
rung der Vernunft; aber diese Ichgliederung ist als Harmonie von
Verstand und dem die Anschauung produzierenden Faktor der Ein-
bildungskraft die objektive Gesetzmäßigkeit der Vernunft selber. Die
einzelnen Töne einer Melodie werden nicht als einzelne Teile, sondern
als das objektive Ganze der Melodie erlebt. Die heutige Psychologie
nennt ein solches Erleben Gestalt. Die Gestaltfunktion des ästheti-
schen Erlebens ist es, an der Kant hier die grundlegenden Bestim-
mungen entdeckt. Daher ist das uninteressierte Wohlgefallen, das den
ästhetischen Geschmack objektiviert, nicht als individuelle, psychische
Tatsache zu verstehen; denn dann würde das Geschmacksurteil zur
„privaten“ Meinung herabsinken. Es kommt nicht darauf an, daß
jedes ästhetisch betrachtende Individuum dieses uninteressierte Wohl-
gefallen wirklich habe; sondern allein entscheidend ist, daß es ihm
müsse angesonnen werden können (V, 216, 217, 289).
Die Gültigkeitsbedingungen des Ästhetischen rückt Kant in die
Schicht eines allgemeinen Bewußtseins ein, und wenn irgendwo, kon-
stituiert sich gerade an diesem Punkte der Begriff eines Bewußtseins,
dessen formaler Inhalt von allgemeiner Gültigkeit ist. Indem die Ver-
nunft sich selbst in ihrem Tun belauscht, füllt sie sich mit der Funk-
tion inhaltgebender Anschauung. Kant unterläßt nicht, dieses Be-
wußtsein mit einem psychologischen Unterbau zu versehen, um es
der möglichen Verdünnung durch Abstraktion in ein logisches Be-
wußtsein überhaupt zu entziehen. Im Gemeinsinn, der nicht durch
Begriffe, sondern durch das Gefühl allgemein gültig bestimme, was
gefalle, schafft sich Kant die notwendige Nähe zu den Prinzipien des
Psychischen. Gewiß fußt Kant dabei nicht auf einzelnen psycholo-
gischen Betrachtungen, sondern der Gemeinsinn ist notwendige Be-
dingung der allgemeinen Mitteilbarkeit unserer Erkenntnis. Es ist
diejenige Funktion unseres Bewußtseins, die den worthaften Bezug
des ästhetischen Erlebnisses ausdrückt, sofern der Gegenstand des-
selben in allgemein verbindlicher Weise im Urteil bestimmt werden
soll. (V, 238/39.)
Wiewohl es Kant nur um das Bewußtseinsapriori des Schönen zu
tun ist, geht er doch auch auf seine empirischen Bedingungen ein, die
in Wahrheit allerdings auch noch zum Apriori gezählt werden müs-
sen; denn sie betreffen eine allgemeine Kulturfunktion des Schönen.
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