Nebeneinander der Werte, sondern auch ein Übereinander und Inein-
ander der Werte kennt. Und nicht nur Werte treten darin auf, sondern
vor allem nach diesen Werten bewertete Dinge, d. h. Güter. Die Welt
stellt einen Güterzusammenhang dar, dessen einzelne Glieder zum
höchsten Gute sich verhalten wie die einzelnen Töne zu einer Melodie.
Die Melodie ist die gegenständliche Ganzheit, in der jeder Ton ein
Glied ist. So bedeutet der normative Zielbegriff des höchsten Gutes
diejenige Ganzheitsform, der sich die Welt als dynamische Güterver-
wirklichung einzugliedern vermag. Das „Weltbeste‘“ Kants und seiner
großen Vorgänger ist der Endzweck, dessen organisierende Einheit
alle Einzelzwecke der Welt umspannt. Nennen wir diese Ganzheit in
Analogie zur Erfassung einer Melodie die psychische „Gestalt“ im Er-
leben einer solchen gegliederten Ganzheit, dann ist die Welt eine Wert-
gestalt, deren Glieder die einzelnen Güter sind.
Als Wertgestalt ist die Welt als ein Ganzes einem endlichen, d. h.
unserem Bewußtsein gegenwärtig; vielmehr umgekehrt: die Gegen-
wärtigkeitsnorm, die Welt als Ganzes im Bewußtsein haben zu sollen,
bedingt das Haben der Welt als Wertgestalt. In der Gestalt sind aber
alle Glieder übersehbar, weil vom Ganzen der Gestalt aus bestimmt.
Diese Geschlossenheit und Übersehbarkeit, die die völlige Bestimmt-
heit der einzelnen Glieder bedeutet, verwandelt den diskursiven Prozeß
des Denkens, des Bestimmens in Urteilszusammenhängen in jene Voll-
kommenheit und Übersehbarkeit, wie sie Kant dem intuitiven Ver-
stande zuschreibt, der vom Synthetisch-Allgemeinen zum Besonderen
zu gehen vermag. Daher legt Kant der Metaphysik als der Weise des
Wissens des absoluten intuitiven Verstandes die gleichen Eigenschaf-
ten bei: „Nun ist Metaphysik nach den Begriffen, die wir hier davon
geben werden, die einzige aller Wissenschaften, die sich eine solche
Vollendung und zwar in kurzer Zeit und mit nur weniger, aber ver-
einigter Bemühung versprechen darf, so daß nichts für die Nach-
kommenschaft übrig bleibt, als in der didaktischen Manier alles
nach ihren Absichten einzurichten, ohne darum den Inhalt im min-
desten vermehren zu können. Denn es ist nichts als das Inventarium
aller unserer Besitze durch reine Vernunft, systematisch geordnet.
Es kann uns hier nichts entgehen, weil, was Vernunft gänzlich aus
sich selbst hervorbringt, sich nicht verstecken kann, sondern selbst
durch Vernunft ans Licht gebracht wird, sobald man nur das gemein-
schaftliche Prinzip desselben entdeckt hat. Die vollkommene Einheit
dieser Art Erkenntnisse und zwar aus lauter reinen Begriffen, ohne
daß irgend etwas von Erfahrung, oder auch nur besondere Anschau-
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