bewußtsein als normativer Funktion gegenüber dem gegebenen Tat-
bestande der Kultur”,
Kulturbewußtsein ersteht aus den Tiefen der Persönlichkeit, aus
den Tiefen wertfühlenden Erlebens der Seele. Kant entdeckt für das
neunzehnte Jahrhundert im Kulturbewußtsein die grundlegenden
Bedingungen für den neuen, wertgestalteten dynamischen Seelen- und
Individualitätsbegriff. Die politischen, geistigen und wirtschaftlichen
Kämpfe des neunzehnten Jahrhunderts enthalten eine Auseinander-
setzung dieses Individualitätsbegriffs mit den gesellschaftlichen Mäch-
ten. In diesem Zeitalter sucht sich das normative Kulturbewußtsein
zur Bewußtheit zu bringen. Wir aber stehen in den gärenden Anfän-
gen dieser Epoche; möge sie zum Siege ihres eigenen Prinzips ge-
langen. Es wäre ein Opfer der Menschheit am Altare der Kantischen
Ideale, seinen Manen würdig!
Wenn es gilt, die spezifische Leistung Kants in ihrer überzeitlichen
Bedeutung darzustellen, so kann darüber kein Zweifel sein, daß seine
kritische Erkenntnismethode, die sich auf der Urteilsgesetzlichkeit
erhebt, zu einem wesentlichen Bestandstück dieser Leistung gehört.
Bevolutionär ist er ja nur in Rücksicht auf den Erkenntnisbegriff, da-
gegen konservativ im Inhalt seiner Metaphysik. Es ist aber die Frage,
ob eine Darstellung seines Systems, die seinen Erkenntnisbegriff in
den Mittelpunkt stellt, der systemhaften Einheit seines Lebenswerkes
hinreichend gerecht werden kann. Wenn es nicht möglich ist, in der
Darstellung die kritische Erkenntnisfunktion alle Teile seines Systems
in gleichem Maße durchdringen zu lassen, dann vermag die Darstel-
lung die Einheit seines Systems nicht zu gewinnen. Und Kants Werk
ist doch System und muß also systemhafte Einheit besitzen!
Nun kann, — das dürfte auch diese ganze Untersuchung gezeigt
haben —, vom kritischen Erkenntnisgedanken der theoretischen
Hauptwerke allein aus seine Wertphilosophie nicht hinreichend ver-
standen und gewürdigt werden. Andererseits läßt sich das kritische
Moment nicht isoliert von den übrigen Gedankenreihen des kantischen
Philosophierens einfangen. Die spezifische Leistung Kants als ein-
heitliches System würdigen, verlangt daher einen anderen Mittel-
punkt, als ihn sein kritischer Wahrheitsbegriff herzugeben vermag.
Wenn also hier der Versuch gemacht wurde, die ethische Freiheits-
metaphysik zum Einheitsquell seines Systems bei aller Anerkennung
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