Full text: Kant

mos von einer gedanklichen harmonisch-mathematischen Einheit ge- 
genübertritt. Das logische Gefüge dieses Weltgedankens wird be- 
herrscht von jener einfachen Auffassung über das Wesen des Begriffs, 
die den Umfang der in ihm befaßten Gegenstände ins umgekehrte Ver- 
hältnis mit dem Inhaltsreichtum setzt und daher die Weltordnung in 
Gestalt einer Begriffspyramide denkt, deren Spitze in der allgemeinen 
Weltvernunft gipfelt. Sie wird in realen Beziehungen zum Welt- 
geschehen gedacht, indem sie zum Grund und Baumeister der Welt 
gemacht wird. Die dadurch in den Kosmosgedanken hineingetragene 
zweckhafte Struktur gliedert das einzelne Ding trotz seiner mathe- 
matischen Bestimmtheit in den Zweckzusammenhang der Ideen des 
weltschöpferischen Nous ein. 
Zugleich aber wird dieBesinnung über die Gesetzlichkeit der eigenen 
menschlichen Vernunft wach. Der Logos als ein selbständiges Seins- 
gebiet wird entdeckt und zugleich die logisch-psychologische Ver- 
knüpfung der Weltordnung mit der Vernunft. Es beginnt der unge- 
heure Siegeslauf der menschlichen Vernunft, die es wagt, das viel- 
farbige sinnlich wahrnehmbare Geschehen nach den mathematisch- 
astronomischen Gesetzen der Kreisbewegung, die ihren Wahrheits- 
grund allein in der sich an ihr eigenes Gesetz erinnernden Vernunft 
finden, zu ordnen und im Ptolemäischen Weltsystem den Versuch 
einer Konstruktion zu machen, die die Wirklichkeit auf eine einheit- 
liche Weltformel bringt. Und an dieser Wirklichkeit wird neben der 
Naturordnung ein neues Gegenstandsgebiet entdeckt und in seinen 
Grundlinien immer schärfer herausgearbeitet. Der Mensch in seinen 
geistigen und technischen Beziehungen zu größeren Gemeinschaften 
wird als Kulturwesen erkannt, und die Bedingungen, namentlich in 
Rücksicht auf die Staatseinheit, unter denen die Kulturwerte in der 
Form der Tugendhaftigkeit des einzelnen C%ov xohrtıxöv verwirklicht 
werden können, werden in der Gestalt eines Idealstaates erschaut und 
festgelegt. 
Der Erkenntnisbegriff aber ist von vornherein im Griechentum ver- 
flochten mit den Methoden künstlerischen Schauens. Überall wird 
ein Mittelpunkt, ein Prinzip von plastischer Gestaltungskraft gefordert 
und entdeckt, um das sich die anderen zur Sache gehörigen Inhalte 
in harmonischer Ordnung herumlegen, so daß eine Erlebniseinheit von 
Inhalten entsteht, die von einer organisch-zweckhaften Einheitlich- 
keit ist, wie sie die Systemeinheit rein theoretisch-wissenschaftlicher 
Analyse nicht darbieten kann. Daher tritt der erkenntniskritische 
Grundgedanke von der Wechselbeziehung zwischen Vernunft- und 
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