Full text: Kant

prinzip der philosophischen Entfaltung des Kulturbewußtseins wer- 
den kann. Die geistige Struktur der Menschen im heutigen englischen 
Imperium jedenfalls weist in ihren philosophischen Gipfelpunkten 
eine unleugbare Verwandtschaft mit der römischen Denkweise auf, 
wenn sie Wissen und Erkenntnis vornehmlich unter dem Gesichts- 
punkte des Mittels zu praktischen Zwecken der Weltbeherrschung 
betrachtet”. 
Diese drei Motive, das religiöse Erlebnis der Gottesschau, das 
wissenschaftlich-gegenständliche des Weltbegreifens und das willent- 
liche, in dem das Eigengesetz des handelnden Ich anfängt sich selbst 
zu verstehen, heben sich in der geistigen Kulturarbeit des Altertums 
und der nachfolgenden Zeiten aus der Ebene bloßen Erlebens immer 
schärfer heraus und gewinnen in den Begriffen von Gott, Welt und 
Seele ihre wissenschaftliche Vergegenständlichung, ohne freilich ihre 
sie leicht zum Dogma umformende Herkunft aus den Dimensionen 
psychischen Erlebens abstreifen zu können. Sie werden daher zu 
Ordnungsprinzipien dinglicher Gestalt für das Weltverstehen. Ihre 
Seinsart aber mußte problematisch bleiben, weil ihre psychologische 
Bedingtheit zu wenig erkannt werden konnte. Gleichwohl haben sie 
den Hauptinhalt der ganzen mittelalterlichen Metaphysik und Philo- 
sophie ausgemacht, weil sie den wesentlichen Gehalt der Probleme 
jenes Kulturbewußtseins bedeuteten, mag auch dessen theoretische 
Gestalt unter dem Einfluß neuzeitlicher Denkmethoden einen gewal- 
tigen, tiefgehenden Wandel erfahren haben, indem diese Methoden 
die ganze, den Zweifel in der Tiefe aufrührende Problematik dieser 
Begriffe von den Voraussetzungen der neuzeitlichen, gesicherten wis- 
senschaftlichen Erkenntnismethode her entrollen. 
In dieser problematischen Gestalt findet Kant die Ideen von Gott, 
Welt und der Seele mit ihrer Freiheit und Unsterblichkeit vor, und in 
der von ihm geschaffenen Umbildung machen sie als metaphysische 
Ganzheiten für sein System den letzten, es vollendenden und abrun- 
denden Rahmen aus, der ihm diejenige Geschlossenheit verleiht, die 
es befähigt, den Ansprüchen der überzeitlichen Bedingungen des Kul- 
turbewußtseins wenigstens im Prinzip gerecht zu werden. 
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