Full text: Kant

Weise erklärte. Das sichtbare Universum war daher aufgelöst ge- 
dacht in Bewegungen von Körpern, die mit Hilfe der Mathematik in 
ein System von einheitlichen Ordnungen gebracht worden waren. Der 
griechische Kosmosgedanke hatte eine Auferstehung in einer ungleich 
kritischeren und viel genauer konstruierbaren Gestalt erfahren. Al- 
lerdings hat Kant diese neuere Entwicklung der Mathematik und Me- 
chanik, deren Bedeutung in der Entdeckung und Anwendung der 
analytischen Geometrie und der Differential- und Integralrechnung 
liegt, im einzelnen nicht gekannt‘. Alle seine Beispiele und Über- 
legungen über mathematische und physikalische Gegenstände gehen 
an diesen großen Entdeckungen vorbei, und das tiefe Unendlichkeits- 
problem, das die neue Rechenkunst stellt und später die Philosophen 
besonders gereizt hat, hat Kant sich nirgends zum Problem gemacht. 
Die elementare Geometrie nach euklidischer Methode ist vielmehr die 
Tatsache der Mathematik, an die sein philosophisches Denken an- 
knüpft. Und nicht anders steht es mit der Physik; auch hier ist ihm 
eine ohne die Hilfsmittel der höheren Mathematik, fast nur mit ein- 
fachen Proportionen auskommende Behandlungsweise der physikali- 
schen Erscheinungen geläufig. Wenn es Kant dennoch gelungen ist, 
in die Tiefe der philosophischen Probleme, die die Mathematik und 
Physik aufgibt, einzudringen, so beweist dies, wie unabhängig ein 
großer philosophischer Kopf vom Umfange des gegebenen Materials 
einer Wissenschaft ist. Ein einziger spezialwissenschaftlicher Begriff 
enthält für den tief Blickenden die Gesamtheit der Methodenprobleme 
dieser Spezialwissenschaft. Kant also denkt den Kosmos als eine me- 
chanisch bestimmte Welt von Körperbewegungen und die Strenge 
und die das Individuelle vernachlässigende Allgemeinheit dieser Ge- 
setzlichkeit der Atomwelt überträgt sich für ihn auch auf die Theorie 
der anderen Gebiete des Kulturlebens. So erhält das Gesetz der sitt- 
lichen Welt unter seinen Händen ebenfalls die blasse Allgemeinheits- 
farbe der Naturgesetze. Er biegt den Freiheitsgedanken, der ihm in 
der französischen Revolution in einer unermeßlichen individuellen 
Mannigfaltigkeit gegeben war, in die abstrakten Formulierungen um, 
wie sie in der mechanischen Naturordnung die Regel bilden. 
Machen wir uns nunmehr deutlich, in welcher Weise Kant diesen 
Tatsachenkomplex der Wissenschaft mit seiner allgemeinen. Frage- 
stellung nach der Möglichkeit der synthetischen Urteile a priori ver- 
knüpft, und wie durch diese Verknüpfung sich die Hauptfrage in 
mehrere Unterfragen verzweigt. Um seine Naturgesetze zu finden, 
muß der Naturforscher von einzelnen Wahrnehmungen ausgehen. 
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