Full text: Kant

äußeren Natur nachstehen müsse. Und man weiß, welches Unheil der 
psychologische Evidenzbegriff, in dem sich logische und psycho- 
logische Motive in schwer entwirrbarer Verflechtung schneiden, in 
den Erkenntnistheorien angerichtet hat. Kant zeigt, daß diese meine 
Bewußtseinsinhalte auch nur empirisch erkennbar sind, daß ich mich 
selbst in meinen Bewußtseinsinhalten, in meinem Denken, Wollen und 
Fühlen nur erkennen kann, wie ich mir erscheine. Über diese meine 
innere Erscheinung hinaus kann ich mir keine Kenntnis von mir 
selbst erwerben. Die Außen- und Innenwelt werden als Gegenstände 
der Erkenntnis in die gleiche Ebene verlegt, so daß es Kant gelingt, 
die Lösung eines der am meisten das Philosophieren in der neueren 
Zeit bewegenden Probleme zu finden. 
Es ist die Frage nach der Wechselwirkung von Geist und Körper. 
Der Geist als der gegliederte Inhalt unseres Bewußtseins ist nicht aus- 
gedehnt, noch durch Sinnesempfindungen wahrnehmbar im Gegen- 
satz zu unserem Körper. Es ist nur die Zusammenfassung dieser ent- 
gegengesetzten Eigenschaften im Sinne eines sich völlig gegenseitigen 
Ausschließens, wenn Descartes Denken und Ausdehnung als zwei 
parallel, aber fast gänzlich getrennt laufende Reihen zweier verschie- 
dener Substanzen konstruierte. Kant löst die Schwierigkeit auf, indem 
er beweist, daß zwei solche getrennte dingliche Substanzen nicht 
existieren. Denn solche Träger der verschiedenen Erscheinungswelten 
wären Konstruktionen von Dingen, die hinter und jenseits der Er- 
scheinungswelt liegen und daher unerkennbar sind. Mithin bleibt ihr 
Dasein völlig problematisch. Die innere und äußere Welt der Erschei- 
nungen vielmehr hat im Ich und der Urteilsgesetzlichkeit ihr über- 
greifendes Einheitsprinzip, und die äußere Welt ist nur durch ihren 
andersartigen Gesetzescharakter von der inneren Welt unterschieden. 
Äußerer Gegenstand sein bedeutet eben nichts anderes als ein Inhalt, 
der unter anderen Kategorien aus dem Gesamtsystem der Kategorien 
steht wie der Inhalt, der einen inneren. Gegenstand darstellt. Die Ein- 
heit des Weltbildes verlegt Kant aus der Zweiheit substantieller Dinge 
in die Einheit der Erkenntnisbedingungen. Das Chaos der Dinge 
wandelt sich durch Kant in einen Kosmos der Bedingungen über die 
Dinge. 
Kant schließt den allmählichen Aufbau des Naturbegriffs, den die 
Naturwissenschaften seit Galiläi immer kräftiger herausgearbeitet und 
immer höher aufgeführt hatten, durch das Aufsetzen des Daches voll- 
ständig ab. Aller unklaren Beseelung, die in die Naturgegenstände 
hineingetragen worden war, wird ein Ende gemacht. Das Seelenhafte 
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