Full text: Einführung in die Buchkunde

222 III. Gattungen des Buches 
Heilige Schrift, die Bibel, die, als „Buch“ schlechtweg, natürlich 
in erster Reihe steht, die Erbauungsbücher zu Ehren Mariens 
(Livres d’heures) und die übrigen Gebetbücher. 
Die gedruckten Livres d’heures in ihrer vollkommenen Gestalt 
sind den Handschriften nachgebildet, die bis ins XII. Jahrhundert 
zurückreichen und besonders aus dem XIV. und XV. Jahrhundert 
sich in großer Anzahl erhalten haben. Als Vorläufer sind das 
Caxtonsche von 1478 (Cop. II. 3052), die bei Hain 8843 nur kurz 
erwähnte Venediger Ausgabe von 1478, die Delfter Ghetiden- 
boeken von 1480—1484 (Campbell S. 229) anzusehen. Schon 
1485, 26. Februar erschien in Paris ein Livre d’heures von An- 
toine Verard, 1486, 5. Januar ein solches von Philippe Pigouchet 
für Simon Vostre u. a. Frankreich und insbesondere Paris griffen 
diesen Zweig der Buchindustrie auf, nahmen ihn fast ausschließ- 
lich in Beschlag und bildeten die Bücher im XV. und im ersten 
Drittel des XVI. Jahrhunderts zu wahren Kunstwerken aus, die 
noch heute das Auge des Bücherliebhabers entzücken. Die Zahl 
der ganzseitigen Bilder, der Randschmuck jeder Seite wurden 
vermehrt, der Kalender mit allerlei Zutaten geschmückt, der 
textliche Inhalt vergrößert, bis das Übermaß der Schönheit mehr 
schadete als nützte und die Handelskonkurrenz eine Weiterent- 
wicklung der Kunst schwer beeinträchtigte. Zu Anfang des 
XVIL Jahrhunderts verschwanden diese Bücher vom Markte. 
Die Livres d’heures, Horae intemeratae virginis Mariae, Horae 
beatae oder beatissimae Mariae virginis, auch einfach Horae, 
französisch Heures oder Heures de Nostre Dame, spanisch Horas 
oder Oras, niederländisch Ghetijden genannt, sind nicht kirchlich- 
liturgische, sondern Erbauungs- oder Gebetbücher zu Ehren Ma- 
riens, ähnlich wie das in Italien übliche Officium beatae Mariae 
virginis, der größtenteils in deutschen Druckereien hergestellte 
Hortulus animae, die Corona, das Rosarium und der Cursus beatae 
Mariae virginis. 
Sie waren für Fürsten und den Adel, besonders für Frauen 
berechnet. Der Marienkult mit seinen reichen Mysterien hat 
hauptsächlich unter den Frauen seine eifrigsten Verehrer und 
steht dem weiblichen Herzen noch weit näher als dem Mann, 
und so waren es denn auch in erster Linie reiche Damen, deren
	        
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