Full text: Einführung in die Buchkunde

95 JI.Buchgeschichte 
wörtlich zu nehmen ist, dann bleibt der künftigen Inkunabelfor- 
schung noch ein großes Arbeitsfeld offen, oder es sind uns sehr 
viel wertvolle Erzeugnisse der deutschen Druckkunst verloren ge- 
gangen, da die Inkunabelverzeichnisse von Hain, Copinger und 
Reichling, wie die vorzüglichen Arbeiten von Proctor, Burger, 
Haebler und andere außer in Mainz, Bamberg und Straßburg erst 
von 1465 an die Errichtung von Druckereien in Köln, Eltville, 
Augsburg, Basel usw. melden. Wahrscheinlicher aber ist die An- 
nahme, daß die angezogene Notiz vom Gesichtspunkt der späte- 
ren Zeit aus geschrieben ist und nur von der ersten Auswande- 
rung Mainzischer Druckergesellen sprechen will, die dann im 
Laufe weniger Jahre eine wunderbar schnelle Verbreitung der 
neuen Kunst zur Folge hatte. 
Und insoweit ist Rolewincks Bemerkung vollständig berechtigt. 
Denn in den fünfzig Jahren bis 1500 wurden in mehr als 1100 Of- 
fizinen Bücher gedruckt; die genaue Zahl wird erst zutage treten, 
wenn die Inkunabelkommissionen der einzelnen Länder ihre Auf- 
nahmen abgeschlossen haben. Hain allein führt in seinem Hand- 
buch schon über 16200 Ausgaben auf. 
Während in Frankreich ein machtvolles Königtum die Haupt- 
stadt zum Ausgangspunkt der neuen Idee machte, fehlte in 
Deutschland ein solcher Zentralpunkt. Das Königtum war nahezu 
ohne Einfluß, die Adeligen befehdeten sich untereinander und 
hatten wenig Sinn für Kunst und Literatur, nur die Städte und das 
aufkommende Bürgertum strebten nach höheren Idealen. Das west- 
liche Deutschland hatte durch seinen Verkehr mit dem benach- 
barten Frankreich an Kultur und feiner Sitte gewonnen, das süd- 
liche Deutschland war durch seinen Handel mit Italien reich ge- 
worden. So wurden denn auch diese beiden Gebiete die ersten 
Pilegestätten der neuesten Kunst. Vom West- und Südrand des 
Reiches ausgehend, dringt der Buchdruck allmählich gegen Nor- 
den, dann gegen Osten Deutschlands vor. 
Der erste Siegeszug außerhalb der Grenzen des Reiches führte 
die Jünger der neuen Kunst nach Italien, wo sowohl Rom 
als besonders die reiche Welthandelsstadt Venedig, dann auch 
die übrigen Hauptstädte der italienischen Fürstenreiche gerne den 
deutschen Druckern ihre Tore öffneten. Noch in den sechziger 
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