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Charakterifticum der ganzen Kunftrichtung als des einzelnen Meifters; eigenartig ift bei ihm dagegen die
neue und geiftvolle Art der Verwendung italienifcher und franzöfifcher Vorbilder. Endlich ift als das ent-
fcheidendfte Zeugnifs von der Unmittelbarkeit des Schlüter’fchen Talentes im Gegenfatz zu dem feiner Nach-
‘olger die Fruchtbarkeit feiner Geftaltungskraft hervorzuheben, welche nicht wie die italienifchen Barock-
meifter nach »capriccj« jagt und deshalb auf Thorheiten verfällt, fondern da, wo die Forderung dazu heran-
tritt, in unvergleichlichem Reichthum und immer gleichmäfsiger Schönheit Varianten {chafft.
Es ift hier vielleicht am eheften der Ort, ein Zeugnifs aus dem vorigen Jahrhundert einzureihen,
welches das Leben und Treiben in diefen Räumen und die decorative Ausftattung derfelben fchildert. Das
erftere muthet uns durch fein complicirtes und das Dafein erfchwerende Ceremoniell faft fchon comifch an,
von der letzteren hat {ich leider nur der kleinfte Theil bis heute erhalten, und es ift kein Zweifel, dafs die
harmonifche Pracht jener Räume, wie fie aus der Hand Schlüter’s hervorgingen, einen noch ungleich grofs-
artigeren und wohlthuenderen Eindruck machte, als dies heut der Fall ift, wo allerlei nicht immer glückliche
Reftaurationen oft ftörend wirken. Es heifst dort:
»1. Des Königs Friedrich I. Schlafcabinet war klein; er konnte und wollte in keinem grofsen
Zimmer {chlafen. In diefem Cabinet war Niemand als ein Kammerjunge, und des Königs großer englifcher
Leibhund. Der Kammerjunge fchlief gleich vor des Königs Bett auf einer Madratze, welche auf den Boden
lag, und der Leibhund hat diefen Jungen, wo nicht allemal, doch oftmals zum Hauptkiffen dienen müffen.
Der Kammerjunge hat nicht viel {chlafen, fondern Achtung geben müffen auf des Königs Begehren, infonder-
heit hat er müffen des Nachts dem Könige das Kammerbecken reichen, und auch wohl fürhalten. Vor
diefem Schlaf Cabinet war:
2. Des Königs Bet Cabinet, auch nur ein kleines Cabinet, darinnen ein kleiner Altar, auf welchem
ein fchönes filbernes maffives Crucifix geftanden, für welches der König alle Morgen auf einem roth
fammtnen Polfter niedergeknieet, und feine Andacht gantz allein faft eine Stunde verrichtet. Vor diefem
Bet-Cabinet war:
3. Die Garderobe, wo alle Nacht die Wache hatten: 2 Kammerdiener, 2 Kammerpagen, 2 Kammer-
herren, 2. Kammerjäger, und ein Kammer-Laquai, welche theils auf befondere Schlafftühle, theils auf
Matratzen lagen, aber niemals recht fchlafen durften. Außerdem wurden in diefem Zimmer die Königlichen
Kleider in befondere Schränke und Behältniffe verwahrt, worüber noch verfchiedene andere Bediente gefetzt
waren. Vor diefer Garderobe war:
4. Die Galerie, welche mit allerhand fchönen Schildern und andern preciofen geziert war, auf
diefer hatten 2 Haiducken die Wache, welche ftets die Thüre auf und zuhalten mufsten. — Vor der
Galerie war:
5. Das Conferenzzimmer. In diefem hatten alle Nacht die Wache: 2 Kammerjunker, 2 Kammer-
herrn, 2 Kapitäns und ı Obrift, oder auch wohl ein General, die fafßsen auf Seflel und Schlafftühle. Auf
diefem Zimmer war ein großes und fchönes Kamin, in welchen Tag und Nacht unaufhörlich Winter und
Sommer warmes Wafler fein mufste, zum Thee, Caffee, zum Spielen und Wafchen. Auf diefem Zimmer
wurde auch alle Conferenz, fowohl von einländifch als ausländifchen Herren und Miniftern gehalten, da
dann theils der König gegenwärtig, auch wohl abwefend war. Vor diefem Zimmer war:
6. Das ordinaire Tafel Gemach, in welchem 6 Hof Lakaien die Wache hatten. Diefe mufsten in
allen Zimmern die weißen und fehr viele Wachskerzen anzünden, darnach fehen, dafs fie keinen Schaden
thäten, putzen und fie wieder austhun. In diefem grofsen Gemach wurde ordinaire gefpeift und offene