170 Die Kultur
im Dunkeln. Es gibt vielmehr einzelne Fälle, in denen
derartige spontane Ausdruckstendenzen wirklich bei
Kindern beobachtet worden sind. Dahin gehören vor
allem die von Klara und William Stern mitgeteilten
Tatsachen.
Doch ist das Problem der Sprachentstehung noch
keineswegs zureichend gelöst. In Fällen der genannten
Art handelt es sich nicht um die Entstehung sprach-
licher Verständigung zwischen Menschen, von denen noch
beide Parteien der Sprache entbehren.
Die Zahl der Sprachen ist fast grenzenlos, ihr Bau
sehr verschieden. Eine tiefere psychologische Begrün-
dung dieses verschiedenartigen Baues fehlt bisher leider.
Und doch wäre es die Aufgabe der Sprachwissenschaft,
darüber Klarheit zu schaffen, welche völkerpsycholo-
gischen Tatsachen die Verschiedenheit der Struktur der
Sprachen eigentlich bedingen. Das bisherige Stadium der
bloßen Konstatierung dieser Verschiedenheit und die
Feststellung der sogenannten Gesetze des Lautwandels
müßten endlich durch ein tiefer dringendes Verfahren er-
setzt werden, zu dem erst die Anfänge da sind.
_ Ein völliges Entsprechen verschiedener Laute ist nur
in verhältnismäßig wenigen Fällen zwischen verschiedenen
Sprachen möglich. Sobald man die einfachsten Dinge
überschreitet, stoßen wir auf absolute Individualität der
Sprachen. Worte wie „Revanche“ und „Rache“ z. B. ent-
sprechen sich nicht im geringsten. Das erste Wort hat
einen noblen Klang in sich, wie es denn auch Vergeltung
im guten Sinne bedeutet, der „Rache“ dagegen fehlt dieses
Moment. Das Sich-nicht-Entsprechen der verschiedenen
Sprachen wird am deutlichsten in der dichterischen
Literatur. Man kann keinen Roman, kein Gedicht völlig
übersetzen. Nicht bloß ist der einfache Wortkläng der