192 Die Kultur
nisses, unseres Selbstgefühls, aber auch unserer Ein-
schätzung der Menschen ab.
Wer ein starkes Gefühl der Selbsteinschätzung be-
sitzt und auch bei den andern solche erwartet, wird
immer zunächst eine republikanisch-demokratische Staats-
form fordern (wofern er nicht durch die Gunst des Schick- N
sals von vornherein auf ihm gemäßer Höhe steht).. Findet n
er dann die Umwelt klein und der Leitung bedürftig, so
wird er resigniert an Stelle freier selbstgewählter Leitung
die Fremdleitung als die geeignete Regierungsform an-
sehen, aber immer bemüht sein, sich selbst die Un-
abhängigkeit zu bewahren. Sein Verhältnis zum sozialen
Ganzen verliert dabei die ursprüngliche Wärme. ;
Nicht völlig identisch mit der Frage nach der d
Funktion des Staates ist die nach dem Sinn des N
Staates. Das erste ist eine Tatsachenfrage, das zweite 6
dagegen eine Frage nach dem Ideal. Natürlich sind
beide nicht ohne Beziehung zueinander, sonst müßte
man sagen, daß die faktische Leistung des Staates bisher
mit der idealgemäßen nichts zu tun gehabt habe. Beide, w
Funktion und Ideal, bleiben im Verlauf der Geschichte m
nicht unverändert, auch hier zeigt sich ein Aufsteigen zu B
höheren Werten. ul
Auf niederer Stufe überwiegen die Machtfunktionen te
des Staates. Er gewährt den Individuen sichere Existenz, T:
und er schützt sie nach außen. Die Politiker sehen in der ti‘
Machtausübung gern das Wesentliche. Aber der Staat ist de
niemals auf dieser Stufe stehengeblieben. In der Tat u
tritt sie in der praktischen Politik in den Vordergrund vC
und hat darum auch häufig für die Theorie den leitenden se
Gedanken abgegeben. So entsteht die Idee des Impe- ge
rialismus: der Staat ist ein Selbstwert, dessen höchste ge
Aufgabe es ist, immer größer und mächtiger zu werden. de