Full text: Das Weltbild der Gegenwart

194 Die Kultur 
soweit die Funktionen des Staates unmittelbare oder mit- 
telbare Beziehungen zur Geisteskultur haben, sind sie 
geadelt. Die Existenz selbst der Staaten und ihre bloße 
Macht, auch die des eigenen Staates, dem wir angehören, 
erscheinen uns nicht mehr als letzte Werte. Der Sinn 
des Staates liegt darin, daß er die Vorbedingung zur 
höheren Kultur einer bestimmten Nation darstellt. Die 
Entfaltung solcher ist die Lebensaufgabe jedes dazu be- 
fähigten Volkes. So sehr das heute anfängt, prinzipiell 
anerkannt zu werden, so wenig spiegelt das faktische Ver- 
halten der Staaten es bereits wider, daß die Macht den 
Völkern nicht mehr als Selbstwert erscheint. Immerhin 
hat der Weltkrieg die Kulturidee des Staates zu weit 
höherem Bewußtsein gebracht, als sie zuvor besaß. 
Es gibt bisher nur ein Kulturgebiet, das den Staat 
sich zeitweise wirklich unterzuordnen vermochte: die 
Religion. Der sichtbarste Ausdruck dafür ist_der 
Priesterstaat. Zu so starker Unterordnung ist es aber 
nur in Asien gekommen. Immerhin war im Mittelalter 
auch in Europa der Einfluß der religiösen Ideen auf den 
Staat ein außerordentlicher. Canossa und die Kreuzzüge 
werden immer großartige Denkmale von der Macht ‚des n 
Geistes bleiben. In der Neuzeit ist die Verselbständigung ) 
des Staates immer mehr fortgeschritten, bis er auch Herr | 
der Religion wurde. Der Landesfürst als summus_epi- 
scopus ist der strikte Gegensatz zu den spezifisch religiösen 
Staaten, in denen der summus episcopus Landesherr ist. 
Während die sittlichen Ideen sich sonst weiterentwickelt 
haben, hat die Autonomie des Staates ständig zuge- 
nommen. Man könnte versucht sein, diese Entwicklung 
dem Protestantismus zur Last zu legen, der als Ganzes 
genommen. — abgesehen von England — die europäische 
Religiosität nicht gestärkt, sondern geschwächt hat. Aber
	        
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