2920 Die Kultur
Wertgebietes ist nur ein modernes. Produkt des Ästheten-
tums, das es in gleicher Form vermutlich auch schon im
Augusteischen Zeitalter gegeben hat. Da in aller Kunst
sich die Person ihrer Schöpfer kundgibt, so bereichern
alle großen Künstler das Leben der Menschheit um neue
psychische Qualitäten. Nicht nur gilt vom Dichter (und
ebenso vom bildenden Künstler und Musiker), daß ihm
ein Gott zu sagen gab, wie er leidet, sondern er leidet auch
anders als andere. Die Gefühle, die Goethes Werke aus-
sprechen, sind teilweise vorher noch nicht so empfunden
worden. Es ist eine neue Gefühlswelt, die er uns er-
schlossen hat, nachdem er sie zunächst in sich selbst er-
fahren hat. Das gleiche gilt von Nietzsche, Meunier,
Klinger und anderen. Der große Künstler ist kein Nach-
fühler, sondern vor allem ein Vorfühler. Eben deshalb
ist er auch Sprachschöpfer. Für die neuen seelischen
Prozesse findet er zugleich den Ausdruck.
—_ Über den Bewußtseinszustand des Künstlers
läßt sich keine eindeutige Aussage machen. In vielen
Fällen ist ihm die Kunst und das Produzieren letzter
Selbszweck: Vart pour Vart, aber es braucht nicht so zu
sein. In der religiösen Kunst hat auch den Künstler oft
das Motiv beherrscht, zur Ehre Gottes tätig zu sein. Der
künstlerische Produktionstrieb war (und ist es dort noch)
eingebettet in religiöse Seelenbeziehung zu Gott. Aber
auch nach der Loslösung der Kunst von der Religion
kommen oft außerästhetische Metive mit ins Spiel. _Die
Lebensverhältnisse etwa zwingen den Künstler und Dich-
ter zur Arbeit: er malt oder meißelt im Auftrag (Rafael,
Michelangelo), er schreibt Dramen mit dem Gedanken,
daß sie aufgeführt werden sollen und damit er selbst zu
mehr oder minder großem Wohlstand gelange (Shake-
speare). Oder er dichtet Gelegenheitsgedichte zu einer