226 Die Kultur
wissenschaften und die ihnen übergeordneten philo-
sophischen Forschungen im spezifischen Sinn. 624 ist
Thales geboren, 322 ist Aristoteles gestorben. Dazwischen
liegt die Entstehung der Physiologie, Zoologie, Botanik,
Astronomie, Physik, Meteorologie, Algebra, Geometrie,
Historik, Sprachwissenschaft, Rechtswissenschaft, Geo-
graphie, Ökonomik, Psychologie, Logik, Erkenntnistheorie,
Metaphysik, Religionsphilosophie, Ästhetik, Ethik, Staats-
wissenschaft. Alle weitere Wissenschaft ist bis zum
heutigen Tage von jenen Leistungen abhängig. Ganz
unzutreffend aber ist es, wenn man lange Zeit die Ge-
wohnheit hatte, auf die spätere wissenschaftliche Arbeit
der Antike hinabzusehen als auf im Grunde epigonen-
haftes unproduktives „Alexandrinertum‘“. In Wahrheit
ist die griechische Produktivität weiterhin auf der früheren
Höhe geblieben, wenn ihr auch notwendigerweise der
Frühlingshauch abgeht, der die Begründung der wissen-
schaftlichen Erkenntnis umweht. Die nacharistotelische
Zeit, in der Alexandria das wissenschaftliche Zentrum
war, ist keineswegs Verfallzeit gewesen. Die Qualität der
Forscher, die damals hervortraten, ist durchaus der der
älteren gleich. Man denke an Euklid, Archimedes, Hip-
parch, Eratosthenes. Neben der Mathematik und Natur-
wissenschaft entwickelten sich ferner neue Geisteswissen-
schaften, damals entstand die Philologie und eine vertiefte
Sprachwissenschaft. Es ist eine Zeit der wissenschaft-
lichen Differenzierung, des Selbständigwerdens der
Einzelwissenschaften gewesen, wenn sie auch selbst-
verständlich nicht soweit ging wie in der Gegenwart,
Es gehört zum Niederdrückendsten in der Welt-
geschichte, daß die ganze griechische wissenschaftliche
Entwicklung noch nicht tausend Jahre gedauert hat. Um
600 v. Chr. beginnt sie, und um 400 n. Chr. liegt sie bereits