3 Cinleitung: Die organische Auffassung des Erdganzen.
von warm und kalt ausgleichen, wieder zu gewaltigen Umgestaltungen des Festen hin. Denn
diese Luftbewegungen sind Winde, die Staub und Sand. von Land zu Land tragen und der
Brandung die Kraft zu küstenumbildender Wirkung verleihen.
Von dieser doppelten Flüssigkeit8hülle ist das Feste der Erde so wenig zu trennen, daß wir
uns auch die einzelnen Teile des Festen von Luft und Wasser umspült zu denken haben. Denn so, wie wir
uns den Erdball von Luft und Wasser eingehüllt räumlich vorstellen, so muß uns auch im zeitlichen Sinne
die Wirkung der Luft und des Wasser3, 3. B. auf Berge und Gebirge, ununterbrochen, lückenlos er-
scheinen. Wie auch die Formen der Erdoberfläche sich ändern mögen, Luft und Wasser bleiben im Wesen
die gleichen. ES ist sehr wichtig für das richtige Verständnis der Erdgeschichte, dieses Verhältnis nie aus
dem Auge zu verlieren. Denn es gibt Formen, die wir nur verstehen, wenn wir uns um einen Ge-
birgsstoc> das Wasser als eine immer zusammenhängende und immer bewegliche Hülle gelegt denken.
Das Gebirge mag sich heben oder senken, falten oder zerklüften, das Wasser arbeitet in gleichem Sinn
an ihm fort. So durchbricht bewegtes Wasser de8 Flusses einen Höhenrücken in dem Maße, wie er sich
aufwölbt, und es entsteht ein „„Durc<hbrucsthal“ (vgl. Bd. I, S. 599). Auch wo Wasser heute nicht mehr
ist, bleiben seine Spuren eingeprägt.
Diese Wasserformen verleihen der Oberfläche unseres Planeten eine Eigentümlichkeit der Physio-
gnomie, die nirgends fehlt, wo Land aus der Wasserhülle hervortritt. Einen jolchen Berg sehen wir
allerdings nicht vor uns. Kein Berg steht gleichsam unter einer Wasserglocke, einer geschlossenen Nappe
d'eau, wie die französische Gartenkunst sie liebte. Anderseits ist auch kein Berg nur ein fester Körper,
wie man ihn kurzsichtigerweise darzustellen liebt. Gletscher, Firnmulden, Firnflecken, Quellen, Bäche, Seen
gehören zu seinem Bestande, er ist ohne sie nicht zu denken. Was3 wäre der Montblanc ohne seine Firn-
und Cisdecken, die seinen Gipfel erhöhen und verbreitern und seine Thäler ausfüllen? Das Felsengerüst
verhält sich zu dem firn- und eisbedeckten Berg wie ein Skelett zum Körper aus Fleis< und Blut. Der
Boden des Berges ist durchfeuchtet, denn die Nieders <läge wachsen mit seiner Höhe, Tau und Reif fallen
reichlicher an seinen Flanken. Wir können nicht jedem Tautropfen und jedem Nebelbläs<hen seine Stelle
anweisen, aber wir können un diese fast täglich sich erneuernden Niederschläge vereinigt und wie einen
Schleier über den Berg geworfen denken, der, zu festem Wasser, Schnee und Firn erstarrt, den Berg im
Winter thatsächlich, wie heute am Südpol, einhüllt. Wie in den Jahre3perioden ist bei den Klimaschwan-
kungen der Jahrtausende und Jahrzehntausende der Berg in den Eiszeiten in Schnee und Ei8 geradezu
vergraben und tritt in den warmen Klimaperioden wie in jahrtausendlangen Sommern aus seinem
Grabe wieder hervor (s. die Abbildung, S. 7).
So ist das Feste der Erde eigentlich der Boden zweier Meere: eines Wassermeeres und
eines Luftmeeres. Die ganze Erde steht unter der Herrschaft des Wassers und der Luft, die
dauernd, aber immer beweglich sie umspülen. Wir jelbst wandeln auf dem Boden des Meeres
der Luft und der dampfförmigen Teile des Wassers. Die Formen der Erdoberfläche sind nur
vorübergehende Erscheinungen auf dem Grunde des Wasser- und Luftmeeres, und alle tragen
den Stempel des Umflutetseins. Der Boden der Seen, Flüsse, Sümpfe, der Gletscher, des In-
landeises und dauernder Firnlager sind ebenso wie der eigentliche MeereSboden der ausschließ-
lichen Bede>ung durch Wasser in verschiedenen Formen vorbehalten. Den Höhepunkt der Wir-
kung solcher Umhüllung zeigt allerdings der Boden des eigentlichen Meeres; aber liegt das, was
wir tro>kenes Land nennen, dem Weltraum offener gegenüber als der Boden eines 6000 m
tiefen MeereSbekens8? Und was wir trockenes Land nennen, das trennt ein Luftmeer von
gewaltiger Tiefe vom Weltraum , nichts kann zum Boden dieses Meeres gelangen, was nicht
den Weg durch die Schichten der Luft zurückgelegt hat. So wie das eigentliche Meer den
Schlamm verändert, den ihm die Flüsse zuspülen, so verändert hier das Luftmeer den Meteor-
staub, den ein ko8mischer Sturm der Erde zuwirbelt: dort Auflösung, hier Verbrennung, in
beiden Fällen Aufnahme der fremden Körper in die großen Flüssigkeit8hüllen. Zwischen den
beiden Meeren waltet aber der große Unterschied, daß das Luftmeer überall in derselben Xorm,