Full text: Die Kunst des Klassizismus und der Romantik (14)

Landschaft hergestellt wird — das Gegenteil von dem, was eine klassische 
Kunst will. 
Besonders merkwürdig ist das Verhalten beider Richtungen zur Geschichte, 
da es Mißverständnisse nahelegt. Sowohl der Klassizismus wie die Romantik 
beziehen sich auf historische Formen. Der Klassizismus scheint dies sogar 
vorzugsweise zu tun, da er sich ausschließlich der Formensprache der Antike 
bedient. Dennoch bedeutet das Historische für ihn weniger als für die Roman- 
tik, denn er faßt die Antike eben nicht historisch auf, sondern als ewig lebend 
und gegenwärtig. Allerdings ist das Leben antiker Kunst nie völlig erloschen. 
Sie verändert sich unter Wahrung der Grundzüge ihres Charakters, um all- 
mählich und unmerklich in Formen überzugehen, die wir als mittelalterlich 
bezeichnen. Der romanische Stil verwendet noch überwiegend Formen antiken 
Ursprungs. Im Süden wie im Norden wird periodisch und absichtsvoll eine 
neue Annäherung an die Antike versucht; auch unter der Herrschaft der Gotik 
lebt mehr oder minder umgestaltet die Antike weiter, während gleichzeitig 
das Lateinische als Sprache der Kirche und der Wissenschaft ununterbrochen 
weiter gesprochen und geschrieben wird. Die Renaissance brachte also nicht 
die Wiedergeburt von etwas Abgestorbenem, sondern die Rückkehr zu nie 
versiegten Quellen. Dabei ging die Literatur weiter als die bildende Kunst. 
Die Philologie des Humanismus stellte durch sorgfältige Ergründung der 
grammatikalischen und syntaktischen Gesetze die klassischen Sprachen für 
den gelehrten Gebrauch in einer Reinheit wieder her, von der die Kunst 
einstweilen noch entfernt blieb. Eben hierdurch wurde indessen das Latein, 
das bis dahin mundartlich abgewandelt worden war, erst recht zu einer toten 
Sprache. Die bildenden Künste formten dagegen, eben weil sie nicht von 
Gelehrten betrieben wurden, das antike Vermächtnis alsbald wieder um und 
weiter. Ein doktrinär puristischer Zug erscheint allerdings schon bei Palladio. 
Er ist der große Vorläufer des Klassizismus. Doch es währt noch zwei Jahr- 
hunderte, bis dieser einsetzt. Und nun erst vollzieht sich in der bildenden 
Kunst jener Prozeß, den lange zuvor die italienischen Humanisten in der 
Sprache eingeleitet hatten. Man tritt der Antike aus einer bewußten Distanz 
gegenüber und untersucht sie mit leidenschaftlichem Eifer, doch ohne Naivität, 
vielmehr in dem Gefühl einer Verpflichtung, um ihre Formen in aller Reinheit 
festzustellen und so in der Gegenwart zu gebrauchen. Es ist das Finale im 
Fortleben der Antike, die Wiedergeburt der nunmehr wirklich Unter- 
gegangenen. Der Vorgang ist dem Alpenglühen vergleichbar, das auf kühlen 
Höhen aufleuchtet, nachdem die. Sonne hinter dem Horizont versunken ist. 
Der Rest ist kalte Nachahmung. 
Diese letzte reinste Verkörperung der Antike ist eng verknüpft mit der 
Wissenschaft. Der Klassizismus wird von der Archäologie wie von einer 
fürsorgenden Schwester genährt. Wenngleich nun aus dieser Verbindung 
Kunst und Altertumskunde wechselseitig Förderung gewannen, ja, wenn 
man sogar von hier aus die Kunstgeschichte, wie wir sie heute verstehen, 
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