ästhetische Begeisterung mit ethischen Regungen, ja sie gewann einen Anflug |
von Religiosität. Ob Winckelmanns schönes Wort von der „edlen Einfalt ä
und stillen Größe‘ der Antike wirklich den Kern ihres Wesens bezeichne, S
lassen wir dahingestellt. Die antiken Menschen haben ihre Kunst vielleicht SE
mit anderen Augen angesehen. Ganz gewiß ist es nur, daß Winckelmann in
schlagend das bezeichnet hat, was er und die Seinen in die Antike hinein- d
sahen. Die Voraussetzung des Klassizismus ist also das — schmerzliche — C
Bewußtsein einer weiten Spannung. Um nun die Spannung zu überwinden, ft
wird die Ratio zu Hilfe genommen. Gewiß, auch die Alten und ihre italienischen kK
Urenkel waren als Künstler rationalistisch und normativ gewesen, aber — &
so paradox es klingen mag — gefühlsmäßig und ohne sich dessen so recht u
bewußt zu werden. Die Ratio steckte ihnen mehr noch im Geblüt als im ®
Gehirn. Bei den Nordländern, den Germanen zumal, war es umgekehrt. Für sie, a
die von Natur irrational und phantastisch Veranlagten, war und ist das Ratio- m“
nalistische das bewußt Vernunftgemäße, etwas, das man erwirbt, lernt und K
lehrt; es ist die Kunst als Wissenschaft. Daher auch die Kühle des mit Mathe- G
matik gesättigten Klassizismus. Wir nannten Palladio doktrinär. Wie ganz a:
anders sind es ein Robert Adam, ein Gilly, ein Klenze! Ihnen ist das w
Klassische nicht Muttersprache, sondern ciceronianisches Latein. DC
Zur Entstehungsgeschichte des Klassizismus seien nun einige Daten ge-
nannt. 1740 kam aus Venedig Giovanni Battista Piranesi nach Rom, getrieben An
vom Enthusiasmus für die römische Antike. 1741 ließ sich Anton Raphael G
Mengs in Rom nieder, der deutsche Wegbereiter des Klassizismus. 1748 fing He
man mit den Ausgrabungen von Pompeji an. Drei Jahre später begannen die ZU
schottischen Brüder Adam in Rom ihre Studien der Antike, um sie 1755 in
Athen fortzusetzen. Der erste Teil ihres epochemachenden Werkes über die fi
Antiquities of Athens erschien in London 1761, nachdem 1758 David Leroy ne
seine Monuments de la Gröce herausgegeben hatte. Und 1755 kam Winckel- ge
mann nach Rom! — So gruppieren sich die entscheidenden Ereignisse merk- se
würdig genau um die Jahrhundertmitte. Sie alle wirken zusammen und be- ®
rühren sich gegenseitig, denn einen Zufall gibt es im historischen Geschehen
nicht. 7
Man ist nun wohl geneigt — und namentlich für den Kunsthistoriker ist fa
solche Auffassung begreiflich — den Anteil der Gelehrten, vor allem Winckel- =
manns, an dem Umschwung des Geschmackes, der von hier an datiert, voran- A
zustellen. Begreiflicherweise, weil die Literatur den Taten der bildenden ne
Künstler vorauseilt, denn das Wort ist leichter beschwingt als die Hand, u
die den Pinsel führt oder die Feder am Reißbrett. Auch wirkt es geschwinder %
in die Ferne, zumal wenn es vom Enthusiasmus eines Winckelmann getragen +h
wird. So sieht es denn so aus, als hätten die Archäologen das Programm fü
aufgezeichnet, das dann die Künstler in ihrer Arbeit befolgten. In der Tat \
aber war es damals so wie es immer, seit wir eine Kunstkritik kennen, gewesen x
ist, daß die Männer der Feder viel mehr die Herolde waren, während die wahren .
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