Wieder und wieder ist dies Problem auf jedem Kunstgebiet verhandelt worden,
von jedem neuen Geschlecht, ganz analog den Bemühungen der Kunst
unseres Reformationszeitalters um Italien. Aber immer wieder wurde die
angebahnte Entwicklung auf beiden Seiten unterbrochen und gestört durch
die mißverständliche Behauptung, daß es sich um eine Nachahmung des
Französischen handele. Das war es nicht; aber die Wissenden, für die es
sich um Aneignung und Ausgleich handelte — wie im achtzehnten, im vier-
zehnten und im dreizehnten Jahrhundert — diese Wissenden drangen nicht
durch. Und so fand auch Schick auf seinem Gebiete keine unmittelbare
Nachfolge.
Die nächste historisch bedeutsame Persönlichkeit auf dem klassizistıschen
Wege der deutschen Malerei war Bonaventura Genelli (1798—1868).
Schon sein Geblüt — er war der Enkel eines in Preußen eingewanderten
Römers — führte ihn nach Italien als seiner anderen Heimat zurück. Allein
er kehrte in sie ein als ein Entfremdeter, der statt des naiven Einsseins
durch das Erbe der mütterlichen Rasse die sentimentale Sehnsucht nach dem
Süden überkommen hatte. Seine Geburt fiel in das Todesjahr von Asmus
Carstens und seine Gesinnung macht ihn zum Fortsetzer des Schleswigers,
als wäre dessen Geist neu in ihm erstanden. Die Analogie ihrer Künstlerschaft
betrifft ebensowohl das Ethos der Gesinnung wie die pathetische Gebärde
und die unselige Geringschätzung des Handwerks. Auch Genelli begnügte
sich im wesentlichen mit Versprechungen, mit Umrißzeichnungen, den
Träumen von Wandgemälden, die er nicht auszuführen vermochte, und die
nun zu Bilderfolgen zyklisch vereinigt als Illustrationen das Licht der Welt
erblickten (Abb. 343). Sein Versuch, einen Auftrag der Monumentalmalerei im
„Römischen Hause‘ des Dr. Härtel in Leipzig auszuführen, scheiterte, und
seine wenigen Staffeleibilder in der Schack-Galerie und in Weimar kommen
als Malerei kaum in Betracht (Abb. 342). Seine Kompositionen (z. B. zur
göttlichen Komödie, aus dem Leben eines Wüstlings, einer Hexe, eines
Künstlers) entquellen einer leicht gebärenden Phantasie und bedienen sich,
durch Naturstudien wenig genährt, manierierter Figuren von sehr kenntlicher
stereotyper Körperbildung. Der schwelgerische Duktus der dünnen Linien
gibt seinen Kompositionen den paradoxen Charakter eines blutleeren Barock,
zu dem bereits Carstens hingeneigt hatte. Seine Berühmtheit ist eine sonder-
lich deutsche Angelegenheit und bleibt in der Sphäre unserer Bildungskunst —
gleich dem Ruhme seines Meisters Carstens.
Entwicklungsgeschichtlich betrachtet, ist Genelli als eine Parallelerscheinung
zu Preller anzusehen. In beiden Fällen wird der Weg zu einem strengeren
Klassizismus, den die Vorgänger betreten hatten, wieder verlassen, trotz
grundsätzlich gleicher Einstellung auf die Antike und die hohe Norm ewiger
Schönheit. Beide bezeichnen jene besondere Art des germanischen Klassizis-
mus, der einer verkappten Romantik gleichkommt.
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