Full text: Die Kunst des Klassizismus und der Romantik (14)

auf den retrospektiven Ausstellungen von 1900 und 1913. Es sei nur an das 
wahrhaft glänzende Reiterporträt eines polnischen Grafen auf der letzten 
dieser Ausstellungen erinnert. Der junge Herr pariert sein Pferd, indem er 
uns mit leichter Gebärde grüßt. Es ist das malerische Denkmal, nein die 
Verherrlichung des Kavaliers einer sinkenden Zeit — die Allüre des Rokoko 
vereint mit einem morgenfrischen Naturalismus. Ein Jahrzehnt später ent- I 
stand 1780—1784 der „Schwur der Horatier‘‘, das akademisch rektifizierte c 
Manifest der klassischen Bürgertugend, ein Signal der heraufziehenden Revo- 
lution. Dazwischen lagen die fünf Jahre des römischen Aufenthalts (1775 bis : 
1780). — Der Abstand zwischen dem Rokoko-David und dem klassizistischen . 
David ist zwar beträchtlich, aber er, wird vermittelt durch eben jenes nie 
gelöste nahe Verhältnis zur Natur. Das ist es, was den Klassizismus Davids 
reguliert und der Erde verhaftet. Dieser klassizistische David ist zwar auf 
französische Art sehr rhetorisch, aber nie verschwommen phrasenhaft, wie € 
so oft die gar nicht rhetorisch veranlagten Deutschen. Neben seinen antiken I 
Heldenbildern von Belisar (Abb. 344), Brutus, dem Raub der Sabinerinnen und C 
dem Schwur der Horatier (Abb. 346) malte David immer zwischendurch Bild- a 
nisse von einer erstaunlichen, bisweilen geradezu erschreckenden Naturwahr- N 
heit, wie den ermordeten Marat von 1793 (von dem es zwei Repliken gibt) und C 
die drei Genterinnen, die Damen Bataillard aus seiner Spätzeit, um nur zwei k 
äußerste Fälle zu nennen. Die Höhe seiner Bildnismalerei bezeichnen freilich d 
jene Arbeiten, in denen die scharfe Beobachtung des Objekts im Dienste klassi- Ss 
zistischer Formenreinheit steht, wie in den berühmten Bildern des Louvre, G 
der Madame Chalgrin, des Ehepaars Seriziat und der schönen auf ihrem Ruhe- N 
bette liegenden Juliette Recamier (Abb. 347, 348, Tafel XXVIII). Die Re- fi 
camier, vielleicht die populärste Schöpfung Davids, verdankt ihren Ruhm der ; 
blonden Anmut der Dargestellten und der eindringlichen Schichtheit der ; 
Komposition. Die weich verlaufenden Linien des Körpers und des weißen 
Gewandes werden zu Häupten und zu Füßen aufgefangen von den empor- 
schwingenden Lehnen des Ruhebettes. Kein Beiwerk stört den Eindruck des 
zarten Linienspiels; die bräunlich grauen Töne der bis auf die Hauptfigur un- 
vollendeten Malerei lenken nicht ab. Und die Vertikale eines hinter der Schönen 
aufgestellten Kandelabers schließt die Komposition nach links mit einer 
einzigen steilen Linie wirksam ab. Das Motiv geht direkt auf Pompeji zurück. 
Man konnte Anno 1800 auf französisch nicht antiker sein. Der Gefahr, von 
hier aus zu einer leeren manierierten Pose zu gelangen, war dadurch vorgebeugt, 
daß dieser Klassizismus mitten im Leben stand. Der nächste Schritt war also 
nicht der, das motivisch Antike aus solchen Bildern zu isolieren, sondern um- 
gekehrt, das antike Motiv zu vergessen, um das aus der antiken Kunst ge- 
wonnene und erneuerte Gefühl für das Leben der Linie auf die Darstellung der 
sich wandelnden Gegenwart anzuwenden. 
Den Weg dazu wies David. Doch gelang ihm die angebahnte Versöhnung 
des Alten und Neuen nicht völlig. Wohl hatte er die erstaunliche Kraft, auch 
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