fluß es doch beherrscht. Denn das ist das Eigentümliche der Linie Ingres’, daß
übt sie anscheinend ganz treu und voraussetzungslos von dem Naturmotiv ab-
hem strahiert ist. Anscheinend — denn wer vermeinen wollte, daß sich etwa
Stu- aus Naturaufnahmen die Linie eines Ingres abstrahieren ließe, der würde
ger- bald bemerken, daß sie in der Tat etwas ganz anderes bedeutet. Sie umspielt
mig die Natur und deutet sie, indem sie ihr das entlockt, was lebendig und anmutig
lähe bewegt in ihr ist — oder in ihr sein könnte. Paradox zu sagen wird diese Linie
iner von Ingres am wenigsten deutlich in seinen Bildern klassischer Motive, wie
°ken in der Apothese Homers oder dem Ödipus, die auf David gegründet sind, in
833) seiner Schlüsselübergabe oder der Vierge aux candelabres, die auf Raffael
iro- zurückweisen. Denn hier schimmert das klassische Vorbild so stark durch,
;hne daß die eigentümliche Modifikation, die ihm Ingres verleiht, darüber leicht
832) mißachtet wird. Sichtbarer tritt der eigentliche Ingres hervor in solchen
ben, Bildern wie der Odaliske, der Quelle, der Badenden (Abb. 364, 366,
was Tafel XXX), dem türkischen Bade. Wenn man, um ihren Wert.zu um-
men schreiben, auf Analogien in alter berühmter Kunst hinweisen will, so möge
die man an Jean Goujons Plastik erinnern. Natürlich an Plastik, nicht an Malerei.
der Denn dieser durchaus nicht als Silhouette .empfundene Fluß der Linie wird
überall von der plastisch bewegten Form gespeist. Bei einem. Spätwerk wie
nbe- der Quelle ist es nicht der äußere Umriß, so wohlgefügt er sein mag, der das
ret- ganze Leben dieser Linienführung aufzeigt, sondern es sind vielmehr die zarten,
eht. nur an den Grenzen von Licht und Schatten spürbaren Linien, mit denen
ach die schwellenden Formen dieser Glieder umschrieben werden. Die Analogie
üick- zu Jean Goujon beruht dabei auf gar keiner äußeren Nachahmung, sondern
na in auf der tiefen Blutsverwandtschaft, welche die gleitende, schlanke, anmutig
nste bewegte Form begünstigt. Der weibliche Körper bietet solcher Lineamentik
bessere Anregung als der männliche mit seinen deutlich abgesetzten Gruppen
der der Muskulatur. So mündet denn auch die Kunst Ingres’, wie die des Goujon,
hul- des Rokoko, wie Corot und Renoir und alle reife Kunst Frankreichs in eine
sich Verherrlichung des Weibes. Sie ist die Huldigung des Mannes vor dem Reiz
ten, der Frau, deswegen aber noch keineswegs effeminiert, wie es von den Ger-
gen manen leicht mißverstanden wird. Nur das wäre zuzugeben, daß der Charakter
ler- solcher Kunst nicht heroisch ist, nicht erhaben oder grenzensprengend.
‚ein Ihre Größe, die unbestreitbar bleibt, vereinigt sich mit Feinheit — und eben
zen hierin wird sie dem Wesen hellenischer Antike verwandt. Wenn man sich
nen träumend vorstellt, daß der Orkus einen hellenischen Maler der großen Zeit
Cpi- entließe, so könnte man von ihm erwarten, daß er die Menschen unseres Jahr-
‚ger hunderts ähnlich zeichnen würde wie Ingres. Man könnte aber unmöglich
uht von ihm die Fresken eines Cornelius erwarten.
Die Menschen unseres Jahrhunderts! In ihren Bildnissen erkennen wir,
der was an Ingres antik heißen mag am deutlichsten, eben weil sie nicht nach-
ner geahmt sind. Hier zeigt uns ein großer Künstler, wie lächerlich es ist, die
ınd Hosen und Röcke unserer Zeit zu beseufzen, da die adlige Anmut nicht vom
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