Vebertragene Mimik. Das ästhetische Gefühl. 81
grollt das Gewitter. Wir finden draußen in den Dingen eine
Mimik, wie wir sie haben; wir legen sie hinein in die Formen.
So kommt uns von da draußen der Mensc< entgegen. Wir
lassen uns von den äußeren Erscheinungen unsere eigene Seele
darbringen. Alles pure Phantasie! Der Natur fällt es nicht
ein, eine Seele auf diese Weise zu haben. Sie ist freilich das
geheimnisvolle Zelt, woraus der Mens< und jeine Seele kommt,
aber das geht uns hier nichts an. Wasser und Wald, Berge
und Wolken haben keine Seele, wir aber legen unsere Mimik
und damit unsere Seele hinein.
Dies sage ich, damit ganz ins Auge springt die Wahrheit
unseres Saßes: das Schöne ist nicht bloße Form, sondern aus-
drucksvolle Form, auch da, wo eine Mimik in Wirklichkeit nicht
vorhanden ist, auch in den Formen der landschaftlichen Natur.
Also „Einheit von Ausdru> und Harmonie oder mimisch-har-
monische Form“ ist das Shöne; und die haben nicht recht,
welche behaupten, es komme im Schönen gar nicht auf den
Ausdru> an, sondern bloß auf die Verhältnisse der Form.
Weiter heißt es im Paragraphen: „Demgemäß ist die
Lust in der Ans<hauung reine Einheit idealer und sinn-
licher Lust. Die Ausshließung des Interesses bestimmt
sich nun näher zu dem Saße: es waltet interesseloses
Interesse (Spiel).“
Lust und Unlust sind Formen des Gefühls. Manche
Aesthetifker gehen überhaupt vom Gefühl aus, um zu finden
was das Schöne sei. Sie unterscheiden Arten von Gefühlen
und suchen dann dasjenige Gefühl zu bestimmen, welches statt-
findet gegenüber dem Schönen. Im vorigen Jahrhundert, seit
Mendelssohn, hielten sich die ästhetis<en Studien auf diesem
Weg. I< habe ihn nicht eingeschlagen, denn ehe wir ein Ge-
fühl haben, müssen wir uns etwas vorstellen. Alles Gefühl
ist motiviert durc< Vorstellung; und Vorstellung verlangt einen
Gegenstand. Ein Bild muß da sein; und dieses we>t nun das
Gefühl. Zst das Bild schön, so wird es ein Gefühl der Lust
erzeugen. Alles Schöne will erstens zu shauen geben und da-
durch zweitens die Seele in ihren Tiefen bewegen und rühren.
Vis<er, Das Schöne und die Kunst