Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

84 Erster Teil. 8 5. 
leidens<haftliche Reize, stoffartige Stimmungen des Zuschauers 
abhält. Das ist die schöne Kühle, die in der Form liegt. Sie 
herrs<t in allem ec<ht Schönen, weil es eben nur Bild ist. 
Also Interesse ohne Interesse. Die ganze unendlich reiche Welt 
der mens<lihen Gefühle wird aufgeregt im Shönen. Wie sollte 
einer so borniert sein, nicht zuzugeben, es sei recht, wenn uns 
ein Drama die ganze Seele erschüttert, wenn wir bei der Auf- 
führung eines Dramas wie Othello meinen, wir halten es nicht 
aus, und mit Schauern der Erstikungsscene folgen ? Wer wird 
nicht zittern in tiefster Seelenspannung, wenn Wallenstein seinem 
Schisal näher und näher kommt, wenn es zur Ermordung 
geht, -- wenn Geßler ho< zu Roß einherreitet, während Tell 
im Busch lauert und mit der Armbrust nach ihm zielt? Dann 
der Zweikampf zwischen Laertes und Hamlet: Wir wissen, daß 
Laertes einen vergifteten Degen hat. Einem solchen Gefecht 
zuzusehen, muß einen in der tiefsten Seele pa>en. Alles, was 
Furc<t und Mitleid umfassen = die Sprache reicht ja nicht 
aus, um die ungeheure Skala ihrer Empfindungen zu bezeichnen 
-- alles das wird im Schönen aufgerührt; die Leidenschaften 
der Liebe und des Hasses, Zorn und Jubel werden in Brand 
geseßt. Wenn Sie dies nun Interesse, höc<hst lebendiges In- 
teresse nennen: gut, aber wir haben gesagt: Interesse im ge- 
wöhnlichen Sinne ist ja, streng genommen, nicht bloß ein In- 
teresse am allgemein mens<hlih Wahren, sondern auch ein 
Interesse an der Existenz, ein Interesse daran, daß etwas sei 
oder nicht sei, ist Wunsc<h oder Abscheu, ist also stoffartiger, 
pathologis<her Natur. Dies leßtere Moment wird nun im 
Schönen immer dadurc< abgehalten, daß wir bloß einem Bild 
gegenüber sind und daß es sich nur um allgemein mensch- 
liche Wahrheit handelt. Dadurch ist hier den leidensc<haftlichen 
Erregungen der Stachel genommen. Der Reiz des gemeinen 
Lebens ist niht da. Im Gebiet des Schönen empfinden wir 
Hoffnung ohne Hoffnung, Furcht ohne Furcht, Abscheu ohne Ab- 
scheu. Sie können hier diese paradoxen Ausdrücke alle brauchen. 
I< habe 3. B. schon daran erinnert: wer in einem Meer- 
sturm fährt und wirklich im gemeinen Sinne Angst hat, .der 
wd 
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