Ernst ohne Ernst. 87
genießt das Schauspiel niht, der hat ja die Seele nicht frei
zum Schauen, der denkt an sein Leben *). Notwendige Vor-
bedingung ist daher, daß er nicht zu sehr der Gefahr ausgeseßt
sein darf; denn, natürlich, dem Mutigsten verginge das Be-
trachten, wenn das Siff so herumgeworfen würde, daß er
niht mehr stehen könnte. Also wirklihen Grund zur Angst
für sein Leben darf er nicht haben. Wer aber so kaltblütig
wäre, daß er von Furcht nichts weiß, der fühlte die Schönheit
des Sturmes auch nicht. Der ist vielmehr der Rechte, der dabei
ganz gefaßt bleibt und nur Phantasiefur<t hat; der kann das
Leben der Wellen betrachten, diese Wunderwelt von Kurven,
wie sie wachsen, den Kamm erreichen und ihn übergießen, der
hört mit freiem Schauer ihr fur<tbares Gewirr von Tönen,
da es ist, als ob in dem ungeheuren Anprall Millionen heran-
stürmten, und dazwischen das eigentümliche Pfeifen des Sturmes
in der Luft.
Ein Shlactenmaler, den seine Kunst nötigt, ziemli< nahe
hinzugehen, wird er die Bewegungen der Kämpfer, der Massen
studieren können, wenn er Angst hat oder wenn er ganz stumpf
ist? Er muß sich in das Schreliche ganz versezen können ohne
zu viel Besorgnis für sein Leben; er muß sich, wie ich jage,
mit Phantasieangst verseßen.
Wenn weiblihe Schönheit dargestellt ist, wollen wir da
alle Sinnlichkeit auss<hließen? Sollen wir ein Kunstwerk ohne
alle Empfindung betrachten? Nein, aber wir haben es bereits
erfannt : alle Leidenschaften sind im Schönen der Erdens<were
enthoben.
Was wäre das für ein Drama, das nicht Leidenschaften
hervorruft! Könnte je ein Aesthetiker gar so fürchterlich geist-
los und nüchtern sein, daß er uns Vorwürfe macht, wenn wir
am Gang einer Tragödie mit unserer Angst und Bangigkeit be-
teiligt sind, und mit unserem ganzen Scre>ken, wenn die
Gewitter des Schiesals hereinbrechen, so daß dur<h die Tausende,
die da sißen, nur ein Beben geht?
1 Sal. oben: S. 31.