Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

9() Erster Teil. 85. 6. 
beiden Geschlechtern und s<ließlih den Jubel ihrer Versöhnung 
dar. Unsere heutigen Gesellshaftstänze sind bloß erbärmliche 
Trümmer, herausgerissene Fragmente jener alten Tänze, die 
vor dem Sclußwalzer einen Scheinkampf darstellten. 
Selbst in der Architektur kommen Scheinkämpfe zum Aus- 
dru>. Die Wechselwirkung zwischen Last und Stüßwerk wird 
durch die Dekoration wie zu einem lebendigen Kampfspiel der 
Kräfte erhoben. 
Die menschlichen Spiele sind alle Sheinkämpfe. Weglassen 
müssen wir aber das Spiel um das Geld. Das ist kein Spiel 
mehr , bei dem es nicht Ernst ist, es wären denn die Einsäße 
so niedrig, daß Gewinn und Verlust noh als Spaß betrachtet 
werden kann. Sonst ist es eine erbärmliche , sittlihe Häßlich- 
keit. Ein Spieler ist von dem Standpunkt der Aesthetik eine 
widerlihe Erscheinung, wogegen ein Mörder, Räuber eine ganz 
vortrefflihe Figur macht. Beim Hazardspiel spielt man ohne 
zu spielen. Das wahre, schöne Spiel ist aber Ernst ohne Ernst. 
5 6: 
Der Gehalt im Schönen ist, wie sim aus 8 5 ergibt, 
mittelbar oder unmittelbar stets der Üensch. Das Schöne 
ist wesentlich persönlich. Beseelung der ganzen Viatur und 
Llaturwerdung alles Geistes. 
Dieser Saß in meiner Aesthetik hat vielfach befremdet und 
Bedenken erregt. I< kann es nicht begreifen. Man hat mir 
gejagt: „Wie? Die Kunst stellt den Menschen dar? Das kannst 
du etwa sagen von der Skulptur oder von einem Teil der 
Malerei, aber nicht von der ganzen Kunst, vor allem nicht von 
der Architektur. Und die Poesie? Auch sie gibt uns Bilder 
von Erscheinungen, worin kein Mensc< auftritt.“ Wie flach sind 
diese Bemerkungen! 
Die Architektur, die soll keinen Menschen darstellen ? 
Was stellt sie denn dar? Sc<on bei unserem Einbli> in die 
Formsymbolik haben wir gesehen, daß sie das innere Leben der 
mensc<lichen Seele zum Ausdruck bringt. Dabei spricht sich in
	        
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