Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Personifikation von Stimmungen. Geist und Natur geeinigt. 99 
philosophischen Saß, daß Natur und Geist eine Wurzel haben 
müssen; und diese Einheit erleben wir im Schönen. Das Schöne, 
die Kunst, die Poesie einigt das vom gemeinen Verstand in 
zwei Hälften zerrissene Weltall wieder, faßt Geist und Natur 
wieder in eines zusammen, hebt uns weg über die unschöne 
Prosa, welche die Welt in zwei Teile zersägen will. Es kann 
im Universum alles ursprünglich nur eines sein, Ausstrahlung 
von einem und demselben Grundwesen; und diese Einheit wird 
im Schönen wieder hergestellt. =-- Wenn man sich die Wunder 
der Natur erklärt aus einem menschenähnlich gedachten Wesen, 
das erschafft und leitet, so wird die Natur immer verwaist. Wir 
müssen auf den Begriff Lenkung ganz verzichten. Die Natur 
ist der Boden, woraus der Geist aufsteigt. 
Wenn ich sage, die ästhetische Auffassung der Kunst stellt 
jo aus den getrennten Stü>ken des Universums eine lebendige 
Cinheit dar, so vergesse ich dabei nicht, daß das zunächst so, 
wie es mit Worten der Dichter thut, nicht zutrifft. Das ist ja 
nicht sachlich wahr, daß dieser Fluß von einem Geheimnis rauscht. 
Unmittelbar ist es nicht wahr. Aber hinter dieser schönen und 
herrlichen Lüge sißt doh die tiefe allgemeine Wahrheit, daß die 
Natur der Schoß des Geistes ist. Es ist nur Sein, daß die 
Lüfte flüstern, daß der Pfeil blutlechzend dahinjagt, aber in dem 
Schein erscheint ein Kern, offenbart sich die Einheit des Uni- 
versums. 
Fichte sagt: „Die Kunst macht den transcendentalen Ge- 
sichtspunkt zum gemeinen.“ Er hat damit nichts anderes sagen 
wollen, als was ich vorhin ausgesprohen habe. Der „transcen- 
dentale“ Gesichtspunkt ist der höhere, dem Hausverstand fremde, 
ihn weit übersteigende Gesichtspunkt, womit wir innewerden, 
daß das Universum im Grund eine Einheit sein muß, und dieser 
Gesichtspunkt macht das Schöne zum gemeinen, d. h. zum 
populären, so daß wir ihn besizen, ohne ihn philosophisch er- 
rungen zu haben. 
Also verborgene Philosophie ist im Schönen. Z< glaube, 
Sie werden jetzt dies Wort nicht mehr übertrieben finden.
	        
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