Erster Teil. 87.
87
Der also stets auf den Menschen weisende Lebensgehalt
kommt im Schönen zu ungetrübtem Ausdru>k. Das Schöne
ist nimt nur ausdru>ksvoll, sondern mangellos aus-
druFsvoll, die Jndividualität des Gegenstandes miteinge-
schlossen. Der Gegenstand erscheint im Schönen als voll-
Fommen. Was er nah Jnnen ist, ist er ganz nah Außen
und umgekehrt. Untrennbare Einheit von Sülle des Jnhalts
und Vollendung der Sorm.
Die viel bestrittene Frage: darf man das Schöne erklären
mit dem Begriff der Vollkommenheit, spielt in der Ge-
schichte der Aesthetik eine große Rolle. Zuerst wollen wir uns
verständigen über den Begriff Lebensgehalt. Darunter ver-
stehen wir eben, was der Gegenstand seinem inneren Wesen
nach ist, z. B. ein Baum, ein Tier. = Man kann dies auc<
Idee nennen, ' aber dieser Begriff hat unendliche Scwierig-
keiten. = Also, was das Ding sein soll, ist Lebens8gehalt; und
dieser kommt in der Form zum Ausdru>d. Das Schöne ist
ausdru>8voll und zwar immer von außen na<h innen gesehen.
Seine Form ist keine leere Form, sondern eine Form, welche
mimisc< immer auch die innere Beschaffenheit des in ihr ent-
haltenen Gegenstandes darstellt. Es erscheint in der Gestalt des
Schönen nicht nur die Seele, es kommt alles heraus, was im
Innern liegt, alles und ganz. Die Form im Schönen ist also
nicht bloß ausdru&>svoll, sondern mangellos ausdru>svoll. Dies
wird Ihnen ganz ohne Zweifel die eigene Erinnerung sagen.
Vor allem wahrhaft Schönen in der Natur oder in der Kunst
haben wir ein Gefühl, daß wir sagen möchten: da ist do< nun
einmal etwas re<ht! Denn in der Wirklichkeit ist fast alles
irgendwie getrübt, dem störenden Zufall preisgegeben; im Leben
ist so äußerst selten etwas recht oder völlig das, was es sein
und was es vorstellen soll. Es gibt kein Wesen, das in einem
bestimmten Moment seiner Erscheinung ganz ausdrüct, was es
ist. Ueberall ist ein Rest, ein Fehler, ein Bruch, ein Abgang.
Das verhält ih nun im Schönen ander3. Hier scheint es uns:
100