! Erster Teil. 8 7.
leidenden Gestalten vollkommen sein sollen, also nicht leidend.
Zur Beleuchtung muß ich hinzuseken: in der gemeinen, nicht
veredelten Wirklichkeit spriht sich auch das Leiden nicht un-
gestört aus. Die Erfahrung des Lebens zeigt uns, daß ein Gesicht
im Zustand der Qual ganz unförmliche Züge haben kann, die
diesen Zustand teilweise ausdrücken, teilweise nicht, so daß es
uns sogar =- re<ht zur Unzeit =- komisc< stimmen kann. Da-
gegen ergreift uns ein Ecce-homo von der Hand eines Meisters
aufs tiefste, nicht bloß physis<, sondern moralisch; er fühlt in
seinem Leiden die ganze Schuld der Mensc<heit; und wir fühlen
sie mit ihm.
Ein anderes Mal wird das Häßliche absichtlich bis in die
Karikatur hinein gewendet. Shakespeare wollte ja in seinem
Falstaff keinen vollkommenen Mann geben, sondern einen voll-
fommenen Typus des wihigen Kneiplumpen. Also je nac< dem
Zusammenhange ist das Gegebene vollkommen, oder nur Teil
eines vollfommenen Gegenstandes. Das eigentlich Schöne liegt
lebteren Falls im Ganzen. In Shakespeares Heinrich IV. ist
nicht Falstaff das Schöne, sondern die bewegte Handlung als
Ganzes; aber an dieser Stelle braucht er einen genußsüctigen,
gewissenlosen, derben Menschen; Falstaff ist dier Trunkenbold,
und dieses muß Shakespeare vollkommen geben. Also der Begriff
des Mangellosen wird modifiziert, nüanciert, delogiert Dadur<,
daß das Schöne auc< den Standpunkt des Furc<htbaren und des
Komischen einnimmt. Das muß später entwi&elt werden; aber
jezt shon haben wir überall Rücsicht darauf zu nehmen.
Zu dem Saße: „das Schöne ist mangellos ausdru&svoll“,
habe ich den Zusaß gemacht: „die Individualität des Gegen-
standes mit eingeschlossen“ 9). Wir wollen nichts von flachen
Idealen. Akademische Kunst bringt Gestalten hervor, daran ist
alles recht hübs< normal, richtig, aber leer, leblos, flau; sie
lassen unser Gefühl kalt. Mir machen immer Spaß die Kostüm-
figuren in Modejournalen, wie sie an Scneiderläden ausgehängt
zu sehen sind , diese süßen Normalpuppen mit ihren blühenden
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