Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Modifikationen des Begriffs. Individualität. 103 
Monatrettichgesichtern. Also fla<ß Allgemeines ist Null. Was 
wollen wir aber? Wir wollen Individualität. Das Schöne ist 
in dem Sinne mangellos, daß es nicht bloß das Allgemeine gibt, 
sondern Individualitäten, daß die Gattung Baum, Tier, Mens<<, 
Mann, Weib, Alter, Stand nicht nur allemal das Generelle 
sagt (uns also zeigt, das ist ein Nadelbaum, Vogel, Greis, Jüng- 
ling, Kind) sondern zudem die Eigentümlichkeiten, wodurch sich 
jede Existenz von allen übrigen unterscheidet. In jedem Einzel- 
wesen mischt die Natur die Eigenschaften, welche das Ganze dieser 
Gattung hat, und demgemäß die Stoffatome wie in keinem 
anderen Wesen. Gs sieht kein Mens< dem anderen gleich. 
Das ist ein Wunder aller Wunder. Die Millionen von Mensc<<en, 
die gelebt haben, sind nicht zu zählen. Sie könnten alles 
darauf wetten: niemals hat es zwei Menschen gegeben, die 
einander ganz gleih sahen, nie eine Stimme, die der 
anderen ganz gleich tönte. Und dies geht hinunter durch alle 
Reiche der Natur. Ziemlich niedere Tiere scheinen sich gleich 
zu sein, aber sie sind denno<h sehr unterschieden. Der Sc<hweine- 
hirt kennt die Individuen seiner Herde re<ht wohl. Wenn der 
Gänsehändler Gänse dahertreibt, so kommen sie uns komisch vor, 
weil wir keinen Unterschied zwischen Gans und Gans sehen; 
aber der Händler kennt jede. Also nicht einmal eine Gans ist 
der anderen gleih. Das Individuum ist immer eigenartig und 
unberechenbar eigenartig. 
Nun aber kommt folgende Schwierigkeit. Jm Schönen, 
habe ich gesagt, wollen wir die Gattung ganz und mangellos 
ausgedrü>t sehen. Aber wenn es zugleih wahr ist, daß die 
Ersc<heinung ebenso entschieden die Bedeutung eines Individuums 
hat, wie bringen wir dann beides zusammen? Das Schöne 
soll die Gattung und zugleich ganz individuelles Leben aus- 
drüden. Scließen diese Säße einander nicht aus? Antwort: 
Das eigenartige Individuum vertritt dur< die Kraft 
der Einseitigkeit seine Gattung gerade voller und reicher als 
das ordinäre Individuum, das keine Eigenheit hat. Denn 
die Energie der Bestimmtheit ist immer Einseitigkeit; es müssen 
die Kräfte sich irgendwie konzentrieren. Diese Energie aibt der
	        
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