Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

16.3 Ersiex Teil... 87. 
räume, sagt ganz trefflich: „Die Natur schafft so, daß sie Bild- 
hauer, Marmor und Meißel zugleich ist.“ Im organischen 
Körper ist alles, eines fürs andere, Mittel und Zwe. Ein 
Wunderwerk dieses in der Natur waltenden Geistes, der nicht 
erst trennen und auseinanderlegen muß, sondern geradezu so 
jchafft, daß sein Denken zugleih ein Werden des Dinges ist. 
Nehmen Sie 3. B. den Antinous. Das ist einmal eine 
vollfommene Jünglingsgestalt. Davon sind wir Überzeugt, 
dessen sind wir gewiß, ohne daß wir deshalb in einem Examen 
den Beweis dafür erbringen könnten, ohne daß wir uns fragten, 
was sind die Funktionen dieser Gestalt, der Brust, der Arme, 
was enthalten diese Glieder? Und nun ist doch gewiß wahr: 
Hier sind alle Organe so gebildet, wie sie gattungsgemäß ge- 
bildet sein sollen, obwohl wir nicht wissenschaftlich angeben 
können, wozu sie dienen. Wir sehen es, ohne es zu denken. 
An dieser und jeder schönen Gestalt sind alle Zwee erreicht, 
deShalb habe im, indem ich sie bloß anschaue, ohne etwas zu 
denken, den Vollbegriff eines zwedmäßigen Wesens. Und dies 
meint man, wenn man das Schöne auch mit dem Begriff voll- 
fommen zu deen sucht. Die menschliche Gestalt -ist die Inter- 
pretation ihrer selbst. Es gibt eine Welt, wo das Sehen und 
das Hören für das Denken eintritt, wo das Denken als aus- 
drücliches, eigentlihes Denken nicht hervortritt, sondern im 
Sehen und Hören selbst mitten drin ist. So gibt es eine 
Veberzeugung von Vollkommenheit durc< die Form selbst, ohne 
Begriff, ohne wissens<haftlihe Rechenschaft. Von einer Maschine 
muß man wissen, wozu ihre Teile dienen, aber die organische 
Gestalt ist keine Maschine. 
Wir können also das Wort „vollkommen“ doch zulassen. 
Es paßt do< auf das Schöne, wenn man nur den Begriff 
behutsam anwendet; und ich wiederhole: Die Vollkommenheit 
jpri<t sich ohne wissenschaftliches Denken in der Form selbst 
aus. Es gibt ein ansc<hauendes Wissen. Dabei bleibt es. 
Man hat nun ohne weiteres gesagt, schön sei, was seine 
Gattung adäquat ausdrüct, d. h. also ganz und gar de>end, ohne 
Rest, ohne Bruch, ohne Störung und Mangel: und auch meine 
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