Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Klare Teilung. Regelmäßigkeit. 127 
Säule ist tragende Stüße. Denken wir uns nun die Dee dar- 
über, so fühlen wir sofort: das Geset der klaren inneren Scei- 
dung, welche die Teile voneinander abhebt, hat notwendig das 
Kapitäl mit Wulst und Platte geschaffen. Ohne das mögen 
wir die Säule nicht sehen. 
Der Bildhauer sondert die Teile des Körpers mit mehr 
Nachdru> als die Natur; sie sollen nicht breiig und shwammig 
ineinander verfließen. Die Skulptur hat von alters her die 
Augenränder, die Kanten der Nase, die Lippen schärfer gezogen, 
die Lo>en bestimmter geordnet und in einzelne Gruppen ge- 
sondert, das Kinn stärker gewölbt, die Brustblätter mächtiger 
abgehoben, die Trennung des Unterleibs vom Oberleib an den 
Leisten fester markiert als die Natur. Das fordert die Be- 
stimmtheit der inneren Sceidung. 
Die Malerei verfällt in Verschwommenheit, wenn die Zeich- 
nung zurücbleibt. Ohne die Logik der Zeichnung wird das 
Kolorit phantastis<. Es fehlt das Knochengerüst, der Begriff 
zur Sache. Auch in einem Mondscheinbild, worin alles ver- 
s<wommen ist, muß der Maler die Massen klarer als in der 
Natur auseinander halten. Namentlich Goethe hatte dafür Sinn 
und spricht in Hermann und Dorothea, wo vom nahenden Ge- 
witter die Rede ist, mit Malerwohlgefallen davon, wie die Massen 
deutlich sich heben. 
Die Musik will Scheidung, Abhebung der Teile, Intervalle. 
Ebenso die Poesie, sie verlangt in einem Epos oder in einem 
Drama Bestimmtheit der Charaktere und der einzelnen Momente 
der Handlung, der Maße im Vers. 
Also Kerben, Einschnitte sind im Kunstwerk nötig. 
Vierter Punkt: Regelmäßigkeit. Das ist ein unbestimmter 
Ausdruc, der sich nicht leicht einfangen läßt. Regelmäßig heißt 
ein Ding, wenn an ihm die Regel, die es einzuhalten sich an- 
schi>t, der es sich fügen soll, auch wirklich befolgt ist. Eine gerade 
Linie soll nicht in Ziza> ausweichen, eine Kreislinie überall 
gleich weit entfernt vom Zentrum sein. Das wird aber nicht 
immer eingehalten; von der Natur schon gar nicht. Es gibt 
abnorme Geburten, Einäugige, Schielende, Menschen mit einem
	        
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