Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Aesthetische Veredlung der menschlichen Natur. Schiller 161 
geistigen Leben, mit ihrer ethishen Gesinnung, daß das Gute 
Neigung wird und mit Grazie geschieht. 
Aber no< etwas. Schiller hat in der genannten Scrift 
auc< etwas zu viel Wert darauf gelegt, daß der Mensch ästhetisch 
erzogen werde, als ob ihn das so ohne weiteres auch zum Guten 
heranbilden würde. Er hat dann dieses Zuviel erkannt und 
„über die notwendigen Grenzen im Gebrauc<h schöner Formen“ 
geschrieben. I< möchte Ihnen raten, das nachzulesen, denn 
dort zeigt Schiller, wie eine nur ästhetische Erziehung den 
Mensc<<en leicht verbildet, und zwar dahin, daß er die schönen 
Formen auf Kosten des Guten sucht, indem er z. B. statt 
mit der herben Wahrheit herauszurü>ken , angenehm höflich ist, 
indem er, um hier edel zu erscheinen, dort eine Pflicht verleßt. 
Dabei führt Schiller auch die verkehrten, fals< populären Er- 
zeugnisse der Litteratur an. Sei nur ja kein Schöngeist, nur 
ja keiner von denen, die z. B. fähig sind, wenn das Vaterland in 
Gefahr steht, tändelnde Sonette zu dichten. Das ist ekelhafte 
Mens<heitsers<einung! = 
Denken Sie dabei auc< an die einseitig ästhetische und 
humanitäre Richtung der italienis<en Renaissance. Jm Gegen- 
saße dazu drang die deutsche Reformation auf eine einseitig 
ethische Konzentration; sie verwies den Menschen auf sein eigenes 
Inneres. Bist du, sagte sie, vom Gefühl der Schuld bewegt, so 
hast du das allein mit dir selbst abzumac<hen; es kann dir kein 
anderer helfen. -- 
So bleibt die Bedeutung der religiösen Sphäre bestehen, 
wenn auch die der Kunst dadurc<, daß sie frei ist von jener 
dumpfen Bindung, die in der positiven Religion überall statt- 
findet, als eine relativ höhere Stufe erscheint. Das Schöne, 
die Kunst packt uns nicht so in den Tiefen wie die Religion, 
die uns den Blitz ins Innere wirft; das ist etwas anderes als 
die freie Heiterkeit der Kunst. Es braucht diese innerste Dur<- 
schüttelung des Mensc<en. Und so groß die Uebel sind, die 
sih an die blinde Intensität des Bilderglaubens und an die 
gößendienerish<e Stellung des Denkens gegenüber dem Bild 
knüpfen, das reine Grundwesen der Religion muß erhalten 
Vischer, Das Schöne und die Kunst. <-41
	        
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