Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

ch Erster Teil. S11: 
Gedanken nicht rec<t zur Geburt verhelfen kann! Wie flott steht 
dem gegenüber die Natur da. =- Ferner hat sie den unermeß- 
lichen Vorzug der Frische und unmittelbaren Lebendigkeit. Alles 
ist in ihre voll Kraft und Bewegung. Keine Kunst kann z. B. 
die Intensität des Lichts erreichen, und unsere Mittel sind ganz 
arm, die Glut der natürlichen Farbe wiederzugeben. Wir können 
auf gewisse Weise Bewegungen nachahmen, aber was heißt das 
gegen die Natur! Sie hat für immer das pulsierende Leben 
voraus. Welches Kreuz ist für den Maler die menschliche Haut, 
und wie viele gehen zu Grab und haben nie vermocht, ihre 
atmende Blutwärme wiederzugeben! 
Das Naturschöne hat sodann drittens den Vorzug, daß in 
ihm die verschiedenen Arten ästhetischer Erscheinung verbunden 
sind, Form, Farbe, wirklihe Bewegung und zugleich akustischer 
Ton. Auch in der Landschaft ist immer ein Klingen, Flüstern, 
Wehen, Rauschen da; wir hören entfernte Stimmen. Einer der 
Hauptreize im Gebirge ist, daß die ganze Natur immer spricht. 
Wir hören ihre Wasserläufe, hören ihre verborgenen, wie ihre 
freien Regungen ; und wie wird dadurch eine sol<e Hochlandschaft 
belebt! Dazu kommt noh etwas anderes. Das Naturschöne spricht 
auch zu Sinnen, an die sich der Künstler eigentlich gar nicht wen- 
den kann. Seinen Duft kann die Kunst nicht nachahmen. Den 
Blütenhauch von Limonen und Orangen, wie er auf italienischen 
Seen uns umweht, kann keine Kunst wiedergeben. Dann die 
Wirkungen der Natur auf unser Haut- und Atmungsleben. 
Furhtbare Schwüle oder Kälte tragen wesentlich bei zu düsteren 
oder graß eins<nürenden Affekten. Die Kunst kann sie zu ihren 
Mitteln nicht wirklic< herbeiziehen. Sie ifoliert. 
Die Skulptur gibt die Form ohne Farbe =< oder wollen 
Sie Wachsfiguren ? Die Griechen haben ihre Statuen zwar be- 
malt, aber in der Hauptsache nicht eigentlich koloriert, sondern 
nur getönt. Und die Skulptur kann wirkliche Bewegung nicht 
geben --- oder wollen Sie Automaten? -- Die Musik isoliert 
den Ton und entwickelt ihn zu einem ästhetischen System, aber 
sie verzichtet dafür auf sichtbare Erscheinung und wörtlichen Be- 
griff. Sie werden auf die Oper und auf das Lied verweisen, 
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