Vorzüge und Mängel des Naturschönen gegenüber der Kunst. 203
allein Sie müssen mir zugeben: vollkommen rein in ihrer
Wirkung ist die Musik nur, wenn sie sich ganz einfac< an das
Ohr wendet, ganz rein nur als Instrumentalmusik, aljo ohne
Text und ohne Schauspiel. =- Die Poesie freilih kann alles
bieten, aber nur darum, weil sie auf alle wirkliche Darstellung
verzihtet und bloß unserem inneren Schauen dient, nur mit
Einbuße der unmittelbaren Gegenständlichkeit. Die Bilder, die
sie unserer Vorstellung gibt, bewegen sich und leben; wir hören
sie. Aber wie verwischt und verblaßt sind sie im Vergleich zu
den Naturers<heinungen und Kunstwerken, die wirklich vor un-
serem Auge stehen! =- Das S<auspiel bewirkt wohl die JlUusion
der Wirklichkeit, doh Sie werden sich überzeugen, daß auch in
dieser Kunstform die Wahrheit des Lebens keineswegs erreicht
wird. Zn der Oper kommt noch die Musik hinzu, jedoch dieser
Gewinn wird mit einem wesentlihen Verlust erkauft, wie zum
Teil schon aus dem bereits Gesagten erhellt. Man spricht jekt
wohl viel von Verbindung sämtlicher Künste und versucht sich
auch praktisch darin, aber dies ist ein Unding. Es lassen sich
unter gewissen Bedingungen höchstens zwei Künste vereinigen,
und dann muß eine vorherrshen. Doch alles das wird uns
erst im ferneren Verlauf beschäftigen.
Sehen wir nun aber auch die andere Seite an! Chen
dur< seine unmittelbare Lebendigkeit sind auc< die Mängel
des Naturs<önen begründet. Es hat keine Hüter, denn die
Natur arbeitet niht auf Schönheit, ihr Zwe> ist Erzeugen.
Sie will eben ihre Wesen hervorbringen und na< Möglichkeit
erhalten, nach Möglichkeit wieder herstellen, wenn sie gelitten
haben, aber sie sorgt nicht, ihre Schönheit zu bewahren; niemand
wacht darüber. Daher ist das sogenannte Naturschöne zufällig,
unverbürgt und äußerst flühtig. Ein Augenbli>, und es ist
vorbei. Sie sehen eine Landschaft an, aber diese Dinge, woraus
sie besteht, Erde, Luft, Licht, Fluß und Wald, wissen nicht, daß
da jemand sie in eine Schönheit zusammenfaßt. Eine verfinsternde
Wolke kommt, ein Regen, und das Bild ist weg. Ein herr-
liher Frühling erblüht, da schmettert ihn ein Hagelwetter zu-
fammen. Ade!